Remember George Jackson & Attica – Knast ist keine Lösung

bearbeitet von gigi am 16.08.2003 19:25 Uhr
Repression clandestino schreibt: "
Sometimes I think this whole world
Is one big prison yard.
Some of us are prisoners
The rest of us are guards.
Lord, Lord,
They cut George Jackson down.
Lord, Lord,
They laid him in the ground.
– Bob Dylan, 'George Jackson'

Am 21. August vor 32 Jahren starb George Jackson."  [Mehr...]

"Der in den Ghettos von Chicago und L.A. aufgewachsene Jackson wurde 1960 im Alter von 18 Jahren wegen eines Raubüberfalls auf eine Tankstelle, bei der 70 Dollar erbeutet wurden, inhaftiert. Ein vergleichsweise geringes Vergehen, doch aufgrund der verhängten "Gummistrafe" (die eine Haftzeit von "1 Jahr bis lebenslänglich" vorsah) blieb Jackson bis zu seinem Tod am 21. August 1971 in Unfreiheit. An diesem Tag wurde er von Beamten des berüchtigten Staatsgefängnisses San Quentin durch Schüsse in Rücken und Kopf umgebracht. Der offiziellen Version nach war Jackson über seinen Anwalt in den Besitz einer Waffe gekommen, hatte mit dieser die Beamten bedroht und versucht, zu fliehen. Der Vorfall erwies sich jedoch als Mordkomplott gegen Jackson, der weder bewaffnet gewesen war, noch zu fliehen geplant hatte. Grund für seine Hinrichtung waren seine politische Überzeugung, die er sich während der Haftzeit durch die Lektüre von Marx, Lenin, Mao u.a. angeignet hatte, und sein schriftstellerisches Engagement für die Rechte (vor allem der farbigen) Gefangenen des US-amerikanischen Knastsystems. Zudem war Jackson zum Feldmarschall der Black Panther Party ernannt worden, einer schwarzen leninistisch geprägten Kaderorganisation, die mit militantem Auftreten die bewaffnete Selbstverteidigung gegen den Rassismus propagierte und u.a. das Recht auf Selbstverwaltung für die schwarzen Viertel forderte. Darüber hinaus stand er mit zwei anderen Gefangenen wegen der angeblichen Ermordung eines Gefängniswärters im Soledad Gefängnis vor Gericht: es wurde befürchtet, das Jackson den anstehenden öffentlichen Gerichtsprozess als Forum für seine Kritik an Knast und Gesellschaft nutzen würde. George Jackson galt den Autoritäten des Knastsystems, die Aufruhr und offene Rebellion unter den entrechteten Gefangenen fürchteten, als Gefahr, die ausgeschaltet werden musste.

Einige Zeit später, am 9. September 1971, brach im Norden des Bundesstaates New York im Hochsicherheitsgefängnis von Attica ein Aufstand aus. Nachdem die durch die Knastrevolten seit dem Herbst 1970 aufgeheizte Stimmung ihren vorläufigen Höhepunkt in der Ermordung George Jacksons gefunden hatte und die Repression in den Knästen sich immer mehr zuspitzte, gingen die Häftlinge von Attica im Kampf für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen in die Offensive. Mehr als 1000 Gefangene übernahmen in kurzer Zeit die Kontrolle über das Gefängnis und nahmen 38 Wärter als Geiseln. In ihrem Kommuniqué hieß es: "Wir sind Menschen. Wir sind keine Bestien, und wir nehmen es nicht hin, wie solche geschlagen und mißhandelt zu werden." Der Forderungskatalog der Gefangenen umfasste u.a. Forderungen nach angemessener Lebensmittel- und medizinischer Versorgung, freier politischer Betätigung, Abschaffung der Zensur, den Rücktritt des Anstaltsleiters und Amnestie für die Aufständischen. Die Verhandlungen mit den Autoritäten blieben jedoch erfolglos und am 13. September beendete der Staat den Aufstand mit einem Massaker: Kampfhubschrauber warfen Tränengaskanister auf den besetzten Gefängnishof ab und 1500 Nationalgardisten, Soldaten und Polizisten stürmten das Gefängnis und deckten den Hof mit Feuer aus automatischen Waffen ein. 32 Häftlinge und 9 als Geiseln genommene Wächter kamen um, 85 Menschen wurden verwundet. (Quellen: "Comrade George & Attica" & ""Die Wut des Panthers")

"San Quentin, what good do you think you do?
Do you think that I'll be different when you're through?
You bend my heart and mind and you warp my soul
Your stone walls turn my blood a little cold"
– Johnny Cash, "San Quentin"
Knast war und ist für Linke natürlich immer ein mehr oder weniger brennendes Thema und das weltweit, nicht zuletzt da sich dauernd Menschen aufgrund ihres linken Engagements, das sich zwangsläufig oft außerhalb der bürgerlichen Spielregeln bewegt, in Gefangenschaft befinden. Nun ist es aber auch nichts weiter als verkürzt und durchaus auch zynisch gegenüber Millionen von anderen Häftlingen, die Institution Knast nur dort zu kritisieren, wo Menschen "aus den eigenen Reihen" und/oder "Unschuldige" betroffen sind (auch wenn der Einsatz für politische Gefangene und Abschiebehäftlinge selbstverständlich legitim und wichtig ist).

Neben politischen Gefangenen und den Gefangenen der Abschiebemaschinerie befinden sich bekanntermaßen auch Menschen im Knast, die z.B. wegen Mord oder Vergewaltigung sitzen. Ein linkes Denken jedoch, das noch immer durch die Suche nach "revolutionären Subjekten" geprägt ist und alles und jeden daher nur instrumentell-beschränkt wahrnehmen kann, blendet "gewöhnliche Kriminelle", im Extremfall also auch Mörder und Vergewaltiger, aus. Diesen wünscht man ebenso wie jeder andere Fan der bürgerlichen Gerechtigkeit, dass sie "im Knast verotten". Romantisiert werden die "Unschuldigen", die im Streben für eine "gerechte Sache" eingesperrt worden sind: grundsätzlich kritisiert wird das entmenschlichende Prinzip von Überwachen und Strafen damit nicht. Nun kann und darf es bei der Kritik der spezifischen Form der Herrschaft, die über diese Menschen ausgeübt wird, gewiss weder darum gehen, Mörder und Vergewaltiger zu "revolutionären Subjekten" und "Opfern" zu machen (was ohnehin in jedem Fall ein projektiver Schwachsinn ist), noch kann und darf es darum gehen, Taten wie Mord und Vergewaltigung zu einer Rebellion gegen unerträgliche gesellschaftliche Zustände zu verzerren (was diese nicht einmal ansatzweise sind) oder sie "sachlich" oder "neutral" zu betrachten und zu verharmlosen: dies ist abzulehnen, da es absolut menschenverachtend gegenüber den Opfern und damit alles andere als emanzipatorisch ist (auch Diebstahl- der sich nicht zwangsläufig gegen die menschliche Existenz und Unversehrtheit selbst richtet und daher weder in der Praxis noch in der Kritik mit Mord und Vergewaltigung gleichzusetzen ist- ist nicht subversiv, sondern entweder schlicht und einfach Ergebnis materieller Not und daher durchaus verständlich, da überlebenswichtig oder das Geschäft mafiöser Organisationen, denen eine herrschaftsfreie Gesellschaft ganz sicher nicht am Herzen liegt). Diese Taten sind nicht als Revolte gegen die Gewalt der Verhältnisse zu verstehen, sondern als Ausdruck der gewalttätigen Verhältnisse selbst Bestandteile dieser. Als solche müssen sie ganz klar abgelehnt, aber auch thematisiert werden; daher bleibt es dabei: Knast ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems.


Ein paar Links ...

Allgemeines:

Texte zur Gefängnisindustrie:

Texte über die Privatisierung von Gefängnissen:

Abschiebeknäste/Abschiebung:

Gefangene:

Zu Kurz' Buch über den "Weltordnungskrieg" | Noch zwei lesenswerte GEGENSTANDPUNKT-Analysen  >

  

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Das Kleingedruckte: Die folgenden Kommentare bekunden die Meinung derer, die sie gepostet haben. (Punkt)
Und weil's wiederholt zu Verwirrungen kam: Pippi Langstrumpf ist ein anonymer Account unter dem jedeR posten kann.
Kleine Erläuterung (Score:2)
von clandestino (kailof2000 at yahoo.de) am 07.01.2004 20:33 Uhr (#515)
User #134 Info | http://www.spencerhill.de/
Ich habe die Beispiele Mord und Vergewaltigung dort oben ganz bewusst gewählt, weil gerade diesen Extremfällen, in denen ein Mensch die Autonomie bzw. die gesamte physische Existenz eines anderen Menschen zerstört, meiner Meinung nach in der (spärlichen) linken Knast-Diskussion gern ausgewichen wird und nicht weil Mörder und Vergewaltiger den Großteil der Straftäter und Häftlinge ausmachen (in der BKA Kriminalstatistik [www.bka.de] weisen "Mord und Totschlag" die niedrigsten Zahlen auf, knapp gefolgt von "Vergewaltigung und sexueller Nötigung"). Die vergleichsweise geringe Anzahl solcher Taten heisst natürlich nicht, dass man sie deshalb als unwichtig erachten sollte; ich halte es aber für notwendig, sich das klar zu machen, um die Horrorszenarien der Law&Order-Fraktion zum Thema "Mord und Totschlag" auch als Horrorszenarien zu entlarven.

Abgesehen von all den individuellen Anlässen, die einen Mörder zu seiner Tat motivieren, kann man den Bewusstseinszustand, in dem ein Mensch sich ernsthaft mit der Vernichtung eines anderen befasst, sicher nicht von einer Gesellschaftsform trennen, die auf Autorität, Hierarchie, Unterordnung, Erniedrigung, Strafe, Konkurrenzkampf (mobbing), Unterdrückung, Selbstverleugnung und all den anderen Formen von kleinen und grossen Gewalttätigkeiten und –verhältnissen basiert, die jeder alltäglich erfahren kann. Nicht anders ist es mit Vergewaltigung. Diese Gewalt kommt nicht aus dem Nichts.

"Well, I try my best to be just like I am, but everybody wants you to be just like them." Bob Dylan