Anarchismus und Postmoderne = Post-Anarchismus?

bearbeitet von clandestino am 11.07.2003 22:39 Uhr
Internet Pippi Langstrumpf schreibt: "Auf einer linksradikalen Seite aus den USA Slash.autonomedia.org (kommt euch das Design nicht irgendwie bekannt vor? :-)) stößt man auf einen ungewöhnlichen Fund. Die Webpage versteht sich als Teil des globalisierungskritischen Netzwerkes und hegt wohl gewisse Sympathien mit dem Black Block, der bei dem ein oder anderen WTO-Treffen auftritt. Anders als die Bewegung in Deutschland kann die Bewegung in den USA sich auf einen reichen theoretischen Fundus berufen. Ungewöhnlich ist, dass diese Ansätze der politischen Theorie in Deutschland und Europa überhaupt nicht rezipiert werden. Ein Beispiel für einen solchen Theoriestrang ist der sogenannte „Post-Anarchism“, in den USA nicht sonderlich ungewöhnlich, da es dort eine lange Tradition von „Anarchist studies“ gibt. [MEHR]
Die meines Wissens erste Buchpublikation des „Post-Anarchism“ war "The political philosophy of poststructuralist anarchism". In diesem Buch vertritt der Autor Todd May (ein Philosoph, der auch eine ganze Menge über Kant publiziert hat) die Auffassung, dass sowohl Marxismus (Marx bis Horkheimer), ebenso wie der „klassische Anarchismus“ (Godwin bis Bakunin) überholt seien und sucht in der Verknüpfung von Anarchismus und poststrukturalistischen Auffassungen von Macht und Herrschaft (Foucault und Lyotard) den Ausweg. Gemeinsam ist den verschiedenen Ansätzen, dass sie den klassischen Anarchismus als essentialistisch und idealistisch ablehnen, doch über dieses Grundcharakteristikum hinaus gibt es eine ganze Reihe von verschiedenen Post-Anarchismen. Etwa den „lacanschen Anarchismus“, der sich im Gegensatz zu Todd May weniger auf Foucault, Deleuze und Lyotard, sondern mehr auf Lacan und Derrida bezieht. Auf der Seite Slash.autonomedia.org finden sich noch etliche weitere Aufsätze zu diesen und vielen anderen Theorien, zum Beispiel Anarchism as Moral Theory von Randall Amster.

Wirklich sehr lesenwert ist Saul Newmans Aufsatz "Anarchism and the politics of ressentiment". Auch hier findet wieder eine Auseinandersetzung mit dem Herrschaftsbegriff des Traditionsanarchismus statt, die Kritik geht in einigen Zügen vielleicht in eine ähnliche Richtung wie die Anarchokritik der Jungen Linken. Newman kritisiert klassische Anarchisten, wie etwa Bakunin oder Kropotkin, da sie sich auf eine menschliche Natur und eine natürliche Ordnung bezögen, die durch die Existenz des Staates zerstört werden würde. Platt ausgedrückt: Der Mensch ist von Natur aus gut, nur der Staat macht ihn schlecht. Für Newman ist dies ein manichäisches Bild, welches lediglich die Umkehrung von Thomas Hobbes’ „Leviathan“ darstellt. Nur, dass nach Hobbes der „gute“ Staat die „böse“ menschliche Natur unterwirft und erzieht. Newman beginnt mit Nietzsche und macht dann eine Reise durch die verschiedensten Ansätze der politischen Philosophie – aber lest selbst. Marxistische Ansätze werde hier hauptsächlich als reduktionistisch (d.h. ökonomistisch) beschrieben, da sie Macht nur als Klassen- und ökonomische Macht beschreiben würden. Trifft dieser Einwand sicherlich auf den ML-Traditionsmarxismus zu (ebenso wie auf den Traditionsanarchismus, der nur die Gesellschaft vom Staat befreien möchte, aber vernachlässigt, dass die Gesellschaft den Staat konstituiert), bleibt die Analyse doch an diesem Punkt stehen. Es fragt sich also: was taugt dieser Ansatz? Ist das nur Ideologie oder ist es ein brauchbares Werkzeug zur Überwindung der Herrschaft des Menschen über den Menschen und somit von Staat und Kapital?

Die einen werden wahrscheinlich – korrekterweise – einwenden, dass eine eigenständige Kritik der politischen Ökonomie ausbleibt und nicht in die Analyse von Macht und Herrschaft miteinbezogen wird. Was werden allerdings andere – die mehr von den Pomos gelesen haben – dazu sagen?"

Zur Aktualität von Marcuses Philosophie | Michael Savage: der jähe Fall eines amerikanischen Rundfunkagitators  >

  

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Das Kleingedruckte: Die folgenden Kommentare bekunden die Meinung derer, die sie gepostet haben. (Punkt)
Und weil's wiederholt zu Verwirrungen kam: Pippi Langstrumpf ist ein anonymer Account unter dem jedeR posten kann.
Postanarchismus (Score:1)
von Louis Lerouge am 07.05.2004 13:37 Uhr (#2378)
User #322 Info
Für alle die sich für Postanarchismus interessieren. In der BRD ist dieser Ansatz kaum präsent vor allem verstehen sich einige AutorInnen, die sich mit Foucault, Derrida, Butler etc. nicht umbedingt als PostanarchistInnen, sondern Ihnen gehr es um die Aktualisierung anarchistischer Theorie und Praxis. In diesem Zusammenhang sind zwei Bücher erschienen: Jens Kastner: Postmoderne und Politik. Libertäre Aspkete in der Soziologie Zygmunt Baumanns, Unrast Verlag Jürgen Mümken: Freiheit, Individualität und Subjektivität. Staat und Subjekt in der Postmoderne, Frankfurt/Main 2003, Verlag Edition AV, 17 Euro