Wie heterosexuelle Weiße glauben auch viele weiße Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgenders, dass farbige Frauen (oder im Fall von schwulen Männer ihre angenommenermaßen "passiven" asiatischen oder "sexuell-aggressiven, gut bestückten" schwarzen Freunde) aus ihren Herkunfts-Communities "befreit" werden müssten, die von Weißen als inhärent fehlerhaft wahrgenommenen werden. Diese Denkweise hat ihren Ursprung in der kolonialistischen europäischen Heuchelei dem Bedürfnis, die Ausbeutung von farbigen Frauen als für diese vorteilhaft darzustellen.
Ein ausgezeichnetes Beispiel ist das Phänomen der Frauen aus dem Katalog. Südostasiatische Frauen werden in die USA gebracht, um europäisch-amerikanische Männer zu heiraten, die sie nie zuvor getroffen haben. Weiße Männer brüsten sich damit, dass sie armen asiatischen Frauen ein besseres Leben bieten, während sie die ökonomischen, sozialen oder ethnischen Ungleichheiten ausblenden, die Frauen zu solchen Entscheidungen motivieren. Viele der Frauen, die man in die USA schleppt, werden von ihren "Ehegatten" missbraucht, und auch wenn es nicht dazu kommt, muss man fragen: "Warum posieren europäisch-amerikanische Männer nicht selber in den Bildkatalogen, um von philippinischen oder Thai-Frauen betrachtet zu werden und sich der Hoffnung hinzugeben, als Ehemänner nach Südostasien geschickt zu werden?"
Die "Rettermentalität" ist ein Produkt einer europäischen männer-dominierten heterosexistischen Weltsicht, die für queeres Leben eigentlich keine Relevanz haben sollte. Ironischerweise wird sie aber von weißen Lesben praktiziert, die nicht eine Sekunde zögern, bei interethnischen Kontakten die Rolle des "dominanten weißen Männchens" einzunehmen.
Lasst uns einen Blick auf die 90er Jahre werfen:
"Internationale" (aka westliche) Nachrichtenquellen berichten, dass man zwei iranische Jugendliche, die als Homosexuelle bezichtigt wurden, bestrafte, indem man eine Mauer über sie einstürzen ließ. Das passt in die dominante amerikanische Sicht des Iran als eines geistesgestörten Ortes, der von religiösen Fanatikern islamischen Glaubens regiert wird. Um den amerikanischen Film Nicht ohne meine Tochter zu zitieren, der im Iran spielt: "Dies ist ein primitives, rückständiges Land!!!"
Aber was ist mit dem unbekannten Vorfall, der in einer amerikanischen Schule geschah? Ein mutmaßliche Lesbe, etwa 15 Jahre alt, wurde Opfer einer Gruppenvergewaltigung von Klassenkameraden. Eine Mitschülerin, die ihr nach Hause half, sah das Blut ihre Beine hinunterlaufen. Sie war eine Jungfrau bis zu ihrer Vergewaltigung. Aus Angst, dass ihre Mutter ihre angebliche sexuelle Orientierung erfahren könnte, berichtete sie den Vorfall nicht. Wäre über diese scheußliche Menschenrechtsverletzung berichtet worden, hätte es das internationale Publikum als ein Beispiel für die "wilde, primitive USA" gelesen!
Während der Vorfall im Iran das Resultat des Urteils eines Religionsgerichts in einer offenen und selbsterklärtermaßen feindlichen Umgebung war, fand der Vorfall in den USA in einer Schule statt, wo man annimmt, dass Kinder sicher seien. Im iranischen Beispiel initiierten religiöse Autoritäten die Gewalthandlung, im amerikanischen Beispiel waren Kinder die Vergewaltiger. Wenn du mich fragen würdest, welcher der zwei schockierenden Vorfälle den verschlungeneren Alptraum darstellt, würde ich den aus den USA wählen.
Sexuelle Beziehungen zwischen Frauen sind illegal in Indien. Keine Frau wurde bis jetzt verfolgt. Im Dezember 1998 attackierte ein vandalisierender Mob, der von der rechtsradikalen religiösen Hindugruppe Shiv Shena mobilisiert worden war, Kinos, in denen Fire, ein indischer Film mit lesbischer Thematik, gezeigt wurde. Damit weiße Amerikaner sich nicht selbstgerecht auf ihre Brust klopfen und behaupten, wieviel besser Schwule und Lesben in Amerika behandelt würden, denkt bitte an den Neonazi, der zwei schwule Männer ermordetete und Synagogen in Brand steckte. Was ist mit der lesbischen Frau, die von einem Auto überfahren wurde, während die Gruppe Jugendlicher hinter dem Steuer schrie: "Stirb, Lesbe!'?
In vielen nicht-weißen Gesellschaften, asiatische Nationen eingeschlossen, genießen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgenders Privilegien, von denen europäische bzw. europäisch-amerikanische Queers nur träumen können. (Hier klicken um den Artikel von ColorQ über "Queers" in der nicht-europäischen Welt zu lesen.)
Einige Asiaten, besonders diejenigen, die von europäischer bzw. europäisch-amerikanischer Kultur beeinflusst sind, wenden sich von FreundInnen ab, wenn sie herausfinden, dass diese "anders" sind. Aber eine solche passive Zurückweisung ist nichts verglichen mit dem tiefsitzenden irrationalen Hass, den einige europäischstämmige AmerikanerInnen ihren lesbisch-schwulen FreundInnen auftischen. Ein schwuler Amerikaner glaubte, es sei weise, seinem besten High-School-Freund zu erzählen, dass er schwul ist, bevor sie Zimmergenossen auf dem College würden. Das Resultat: der schwule Junge wurde auf dem Hof seines Hauses bewusstlos geschlagen und ging mit einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus. So viel zu Freundschaft. Und es gibt den wohlbekannten Fall von Brandon Teena, einem Transgenderjugendlichen, der von zwei früheren Freunden vergewaltigt und ermordet wurde, nachdem sie entdeckt hatten, dass er eine biologische Frau war.
Doch sogar im homophoben Milieu der USA können asiatisch-amerikanische Gemeinschaften akzeptierender gegenüber sexuellen und geschlechtlichen Minoritäten sein als europäisch-amerikanische Communities. Ann, eine Lesbe aus New York, erklärte: "Wir haben unsere Parade am philippinischen Unabhängigkeitstag, während irische Lesben und Schwule [am St. Patrick's Day] nicht mitmarschieren können. Bei Filipinos ist das aber in Ordnung... Wenn Fragen über schwul-lesbische Rechte oder die Rechte von Kindern oder irgendwelche anderen Minderheitenrechte auftauchen, halten die Frauen ihren Schirm nach oben. Wenn Lesben diskriminiert werden, sind es immer die Frauen, die uns unterstützen. So schaut es bei uns in der Filipino Community aus." [1]
Es gibt Grund zu der Annahme, dass Homophobie und die Limitierung von Geschlechtsidentitäten in modernen asiatischen (und anderen nicht-europäischen) Gesellschaften ein europäischer Import ist. Singapur ist dafür bekannt, Lesben zu tolerieren. Von Schwulenklatschen hat man so gut wie noch nie etwas gehört. Trotzdem können schwule Männer nach Singapurs Sodomiegesetzen, einer britischen Hinterlassenschaft, verhaftet werden. Die meiste Homophobie geht von sich als "westlich" stilisierenden SingapurianerInnen aus, die versuchen, europäische Werte nachzuäffen und ihre asiatischen Traditionen als "heidnisch", "gottlos" und anderes mehr zu denunzieren. Politiker akzeptieren ihre westliche Erziehung als den normativen, universellen Standard und brüsten sich damit, dass sie eine angelsächsische Version von "Moral" hochhalten.
In Thailand sind Transvestiten ein häufiger Anblick; Homosexuelle sind sichtbar und in jedem Lebensaspekt, von der Grundschule bis zum College und darüber hinaus, akzeptiert. Die meisten heterosexuellen Thais haben Verwandte und Freunde, die offen schwul sind. Aber in Laos, einem benachbarten Land mit ähnlicher materieller Kultur und Sprache, müssen sich Queers verstecken. Thais und Laotianer sind so sehr verwandt, dass sie ihre Sprachen gegenseitig verstehen; Differenzen in der nationalen Küche sind minimal. Der einzige substanzielle Unterschied besteht darin, dass Laos eine französische Kolonie war, während Thailand niemals von den Europäern kolonialisiert wurde. Einige BeobachterInnen schreiben die schwierige Situation für Queers in Laos dem kulturellen Erbe der Europäer zu.
Die europäische bzw. europäisch-amerikanische Einstellung, dem Rest der Welt zu zeigen, wie man eine nicht-sexistische, nicht-homophobe Gesellschaft sein kann, ist kaum angemessen, bedenkt man, dass es in erster Linie Europäer und europäischstämmige Amerikaner waren, die ihr kulturelles Übel einer virulenten Homophobie in die nicht-europäische Welt exportierten.
[1] Lipat, Ordona, Stewart and Ubaldo, "Tomboy, Dyke Lezzie, and Bi: Filipina Lesbian and Bisexual Women Speak Out", Filipino Americans: Transformation and Identity, ed. Maria P.P. Root, 239.
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"Gebt euch nicht mit Leuten ab, die Bonnie und Clyde für Gewaltverbrecher halten" Diane DiPrima
Es ist nicht das Sein der Menschen, das ihr Bewußtsein, sondern umgekehrt ihr Bewußtein, das ihr gesellschaftliches Sein bestimmt.Also bloß nicht das eine mit dem anderen verwechseln ;-)
Bürgerliche Gesellschaft ist praktizierter Idealismus, das Subjekt ihr souveräner Ursprung. (Joachim Bruhn)
Letzteres verwundert mich nicht. Dann ist der Staat die Plagen doch wenigstens los und muss nicht mehr selber für sie sorgen! ;-) Ich weiß übrigens nicht, warum du ein "sogar" vor diesen Satz stellst. Du tust ja so, als würde diese Forderung an den Fundamenten der Gesellschaft rütteln und der Staat würde sie widerwillig den "Lesben und Schwulen" nur deshalb zugestehen, weil er sich nun einmal seiner Grundrechts-Charta verpflichtet fühlt.
Natürlich formuliert der Staat allerhand Rechte für seine Bürger. Das machen die Taliban schließlich auch! Guck mal im Koran oder in der Bibel nach. Da wird dir ein Recht nach dem anderen zugeschrieben. Sogar ein Wohlfahrtssystem ist vorgesehen, auf das man sich berufen kann ("Gebet den Armen" usw.). Aber der Tatsache von Herrschaft und Ausbeutung widerspricht das kein bisschen. Und genau so ist das eben mit den Menschenrechten.
Es gibt jetzt natürlich einige Idioten (sorry, will niemanden beleidigen!), die den Staat ausgerechnet anhand der Charta kritisieren, die er sich selber gegeben hat oder von denen sie meinen, dass er sie sich geben sollte. Bitteschön, was Besseres kann der sich für seine Legitimation gar nicht wünschen!
War's das, was du nochmal erklärt haben wolltest, oder wolltest du vielmehr ein Gegenargument bringen? Dann hab ich es leider nicht verstanden.
Zur Kritik von Kulturalismus taugt der Text also in der Tat nicht die Bohne; im Gegenteil, er bleibt ihm durch und durch verhaftet. Aber was er immerhin tut, ist zu sagen, dass die beiden "Kulturen", die vom Kulturrelativismuskritiker miteinander verglichen werden, eben beide von Herrschaftsverhältnissen durchzogen sind, die, und das ist die Pointe, auch noch dieselben historischen Ursachen (d.h. die gleiche Formbestimmtheit) haben. Die Homophobie in Asien ist eben keine andere als die in Europa.
Bei der Übersetzung des Textes ging es mir darum, dass die Kulturrelativismuskritiker bei den zwei "Kulturen", die sie aufmachen (sie sind nämlich meist selbst kulturalistisch unterwegs), die eine als neutralen Maßstab setzen, um mit ihr die andere als "zurückgeblieben" darzustellen. Kritiker des Kulturrelativismus sind also selber knallharte Relativisten, die gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse welche man natürlich kritisieren muss, egal wo sie auftreten nur auf der einen Seite wahrnehmen, während sie sie auf der anderen komplett ausblenden.
Ich teile deine Kritik am Kulturalismus des Textes, weise deine Argumentation aber dort zurück, wo du selber relativistisch zu werden beginnst. Ansatzweise z.B. schon hier:
"Der vorgelegte Artikel taugt nur als Demonstration, dass Überlegungen, die die Welt nicht als von ihren Subjekten vermittelte begreifen, noch hinter das zurückfallen, was diese Gesellschaft (und sie ist schon lange Weltgesellschaft) an Aufklärung immerhin kennt bzw. gekannt hat."Da erscheint der gute Westen wieder einmal als derjenige, der der Welt die Aufklärung gebracht hat, nicht wahr? Er hat ihr aber doch mindestens ebenso den Kulturalismus gebracht, das heißt das konsequente Denken in solchen Identitätsformen! Was heißt also: "fällt zurück"? Wo ist das Vorne und das Hinten? Ist Kulturalismus eine Denkform von gestern, die von der Aufklärung überwunden worden wäre? Oder hat die Aufklärung nicht vielmehr selbst den Akt vollzogen, dass sich europäische Menschen als "Subjekte" wahrnehmen, die anderen aber als bloße Anhängsel einer "Kultur"?
KommunistInnen sollten sich eben nicht an der bürgerlichen Aufklärung orientieren, sondern vielmehr an deren Selbstkritik. Sie sollten sich nicht an den "Menschenrechten", an der "liberalen Demokratie", an den "westlichen Werten" festklammern, die alle nur bürgerliche Staatlichkeit affirmieren, sondern die konkreten Schädigungen benennen, die Menschen durch die Gesellschaft erfahren. Man braucht keine normativen Maßstäbe, wie der Kulturrelativismuskritiker glaubt, um das Falsche zu kritisieren. Man braucht nur die Erkenntnis, dass die Beschränkungen des Lebens, die uns durch die bürgerliche Gesellschaft und ihre Verfallserscheinungen an der Peripherie auferlegt werden, nicht notwendig sind, sondern ein Skandal. Du aber schreibst:
"Ich nehme an, dass mit 'verschlungener Alptraum' gemeint ist, dass Homophobie dort besonders schlimm ist, wo mensch sie nicht erwartet. (...) Aber ist es nicht dort, wo Homophobie überraschend zutage tritt, irgendwie liberaler?"Da frage ich mich schon, wozu dieser Vergleich taugen soll. Dazu, dass wir die bürgerliche Gesellschaft der Metropolen, die doch die identitären Zurichtungsweisen erst erfunden hat, nach denen Homosexuelle anderswo umgebracht werden, als vergleichsweise liberal anerkennen? Und was hat man davon?
jW fragte Hakan Tas, Sprecher der Berliner Gruppe »Gays & Lesbians aus der Türkei« (GLADT)
F: Mehrere homosexuelle Einrichtungen, Zeitungen und Einzelpersonen in Berlin haben sich in den vergangenen Wochen offenbar dem Ziel verschrieben, ihren plumpen Rassismus gegen Migranten in die Öffentlichkeit zu tragen. Auf dem Cover der Novemberausgabe des Berliner Homo-Magazins Siegessäule prangt in großen Lettern »Türken raus«. Bastian Finke vom »Schwulen Überfalltelefon Berlin« beschwor, daß »die öffentliche Gefahr für Schwule extrem von Jugendlichen türkischer oder generell islamischer Prägung« ausgehe und Alexander Zinn vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) geißelt in Interviews die Arbeit Ihrer Gruppe. Was setzen Sie solchen Verunglimpfungen entgegen?
Homophobie ist ein Problem in allen Gesellschaften. Einzelne Bevölkerungsgruppen kollektiv in die Ecke zu stellen und dann so zu tun, als wäre dies allein ihr Problem, ist dumm und gefährlich. Indem man sagt, Migrantinnen und Migranten sind besonders homophob, sagt man gleichzeitig, daß Mehrheitsdeutsche weniger oder gar nicht homophob seien. In wessen Interesse das sein soll, weiß ich nicht. So wenig wie hier alle Menschen christlich sind, so wenig sind die Menschen aus der Türkei alle »islamisch«. Vor allem gewaltbereite Jugendliche sind oft gar nicht gläubig, geschweige denn religiös geschult. Aber die weisen weißen Männer brauchen wohl ein klares Feindbild. Wenn die gleichen Personen und Institutionen den gleichen Eifer im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus aufbringen würden, sähe dieses Land heute sicher deutlich anders aus.
F: Höhepunkt der Kampagne war ein Artikel von Jan Feddersen in der taz vom 8. November, in dem er offen rassistische Klischees propagiert. Schon in den Wochen zuvor haben sowohl bürgerliche als auch linke Zeitungen die rechten Parolen schwuler Verbandsfunktionäre unkommentiert veröffentlicht. Hatten Sie die Möglichkeit, einmal Ihre Sicht der Dinge darzustellen?
Wir haben vor der Veröffentlichung seines Artikels mit Herrn Feddersen telefoniert. Unsere Antworten wurden verzerrt wiedergegeben. Wir haben nie davon gesprochen, daß die »vormodernen« Migrantinnen und Migranten »zivilisiert« werden sollten.
F: Selbst antirassistisch arbeitende Gruppen hatten Schwierigkeiten, sich deutlich gegen den schwulen Rassismus zu positionieren. Einzig das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk) stellte sich auf die Seite der Migranten. Ist das diffuse Gefühl, daß Lesben und Schwule per se fortschrittlich sind, noch zu sehr in den Köpfen mancher Linker verankert?
In der Tat zeigt ja das Beispiel von Pim Fortuyn in den Niederlanden, daß schwule Männer mitnichten nur liebe, nette Zeitgenossen sind. Als doppelte Minderheit innerhalb unserer ethnischen Community und innerhalb der lesbisch-schwulen Szenen sind wir da vielleicht eher sensibilisiert als die Linken, die denken, daß sie mit jemandem solidarisch sein müssen, nur weil er schwul ist.
F: Kürzlich haben Sie erstmals einen Kongreß für Schwule und Lesben aus der Türkei in Berlin veranstaltet. Waren die Ereignisse der zurückliegenden Wochen auch dort Thema?
Wir haben einen notwendigen und guten Dialog mit MigrantInnenorganisationen begonnen, den wir fortsetzen werden. Sie sind, anders als das bestimmte Leute gerne sehen würden, sehr offen für unsere Belange. Migrantinnen und Migranten sind nicht per se homophob. Man sollte die sozialen Ursachen der Homophobie untersuchen, statt Probleme zu ethnisieren, dann würde man vielleicht die Gemeinsamkeiten mit Mehrheitsdeutschen erkennen und könnte dann gemeinsam vorgehen, ohne zwanghaft Sündenböcke suchen zu müssen. Für einen solchen Dialog sind wir bereit, das hatten wir auch Herrn Feddersen gesagt.
Quelle: junge Welt vom 19.11.2003
Jeder ist so viel wert wie er verdient, jeder verdient so viel er wert ist.
(Horkheimer/Adorno)
Der Vergleich, den du mir unterstellst und von dem du fragst, was er taugen soll, ist einer, den der Text macht.
Du machst ihn, weil der Text ihn macht, und der Text macht ihn, weil Eurozentristen ihn machen. Natürlich kann man Vergleiche anstellen, unter anderem zu dem Zweck, die Spezifik der Vergesellschaftungs- und Zurichtungsweisen hier besser zu begreifen und zu attackieren. Aber wenn das dazu geschieht, sie zu verharmlosen, handelt es sich um eine ideologische Operation.
Denn mal Hand aufs Herz. Was ist dir lieber: Ein Gesellschaftszustand, in dem ein Großteil der Individuen homophob ist und das Recht die daraus folgende Aggression stützt bzw. exekutiert oder einer, in dem ein Großteil der Individuen homophob ist und diese die Exekution durch das Recht zwar wünschen, aber bei eigenständiger Exekution im günstigsten Fall von Rechts wegen verurteilt werden?
So einfach ist der Vergleich nicht. Im Iran sind sexuelle Kontakte zwischen Personen gleichen Geschlechts noch wesentlich häufiger und "normaler" als in den USA oder Europa. In Deutschland etwa ist der Zahl der Jugendlichen, die solche Erfahrungen in Umfragen angeben, allein in den letzten 30 Jahren von ca. 20 auf zwei Prozent geschrumpft, während die Rate von Suizidversuchen bei lesbisch-schwulen Jugendlichen (etwa in Berlin) heute bei ca. 18% liegt.
Und du darfst auch nicht ganz die Vergangenheit ausblenden. Gesellschaften sind raumzeitliche Gebilde, und ihre Durchsetzungsgeschichte ist ein Teil, der in ihre Bewertung einfließen sollte. Die Todesstrafe für "Sodomie" wurde im Europa des 12. Jh. im Rahmen der Kreuzzugspropaganda gegen die islamische Welt eingeführt. Sie wurde jedoch im Mittelalter jahrhundertelang nicht oder nur extrem selten angewendet. Verfolgungen, Massenverstümmelungen und -hinrichtungen von "Sodomitern" begannen erst in den bürgerlich-aufgeklärten Gesellschaften danach: in Florenz und Venedig schon ab der zweiten Hälfte des 14. Jh., in England und den Niederlanden ab Ende des 17. Jh., in Deutschland und den USA ab Ende des 19. Jh. Heute gibt es dort zwar meist keine Strafen mehr für "gleichgeschlechtliche Unzucht". Jedoch nur um den Preis, dass das Recht durch die Norm ersetzt wurde, der Handlungs- durch einen Seinsdiskurs. Die Folge ist eine homosexuelle Panik in der Bevölkerung und eine gewalttätige Homophobie, die vermutlich zu mehr Toten führt als die sporadischen Hinrichtungen im Iran.
Selbstverständlich ist das alles andere als eine Verteidigung des Mullah-Regimes. Denn die Exekutionen dort sind der gewaltsame, vom Staat in einer Art "ursprünglichen Akkumulation" forcierte Beginn einer Sortierung von Menschen nach sexuellen Identitätskategorien, die in Europa bereits abgeschlossen ist. Wo der Fremdzwang, auf den Liebesverkehr mit dem gleichen Geschlecht zu verzichten, in den Selbstzwang übergegangen ist, sich heterosexuell definieren zu müssen, sind Strafgesetze überflüssig. Die Reproduktion von "Zwangsheterosexualität" besorgt dort die homophobe Subjektform ganz von selbst.
"Daß es freilich im Mittelalter, in den von Lukács einstmals als sinnerfüllt gepriesenen Zeiten, nicht soviel besser bestellt war als heute; daß am Ende das Individuum nur deshalb zugrunde geht, weil seine Freiheit die ganze Geschichte hindurch mißlang, ist wohl wahr. Tatsächlich erhält eine Ontologie sich die Geschichte hindurch, die der Verzweiflung. Ist sie aber das Perennierende, dann erfährt das Denken jede Epoche, und zuvor die eigene, von der es unmittelbar weiß, als die schlimmste." (Theodor W. Adorno)
Homosexuelles Verhalten und Geschlechtertausch existieren in Asien und Australien – genau wie auf anderen Kontinenten – seit prähistorischen Zeiten. Viele Nichtweiße haben einen Platz für Queers im öffentlichen Leben oder hatten ihn wenigstens bis vor kurzem.Als gutes Beispiel hierfür könnten die Fa’afafine auf Samoa dienen, über die seit einiger Zeit ein Dokumentarfilm mit dem Titel "Samoa Queens" durch die öffentlich-rechtlichen Sender geistert (den ich bisher aber noch nicht selbst gesehen habe).
"Sie scheinen die schönsten Frauen der Südseeinsel Samoa zu sein. Doch geboren wurden sie als Männer. Sie sind Fa'afafine: Männer, die als Frauen leben - das dritte Geschlecht Polynesiens. Gibt es in einer Familie zu wenig Mädchen, die bei der Hausarbeit helfen, erzieht man einen Jungen als Mädchen. Diese soziale Umwandlung der Geschlechter hält meist ein Leben lang: Weibliche Männer sind Teil der traditionellen Kultur Polynesiens und gesellschaftlich akzeptiert. In vielen Familien gibt es sogar zwei oder drei Fa'afafine. Fa'afafine gelten nicht als homosexuell - eine Fa'afafine fühlt und begreift sich als Frau, ihre Beziehung zu Männern gilt als heterosexuell."
"Gebt euch nicht mit Leuten ab, die Bonnie und Clyde für Gewaltverbrecher halten" Diane DiPrima
User #118 Info | http://www.besuche-oscar-wilde.de/werke/deutsch/essays/die_seele_des.htm