Metakritik des Kulturrelativismus

bearbeitet von derBorst am 19.11.2003 9:43 Uhr
Homophobie Perry Stroika schreibt: "In letzter Zeit kommt es häufiger vor, dass einem in der Debatte über Schwulenverfolgung in Afrika oder der islamischen Welt die Vokabel "Kulturrelativismus" entgegenschallt. Unterstellt wird damit eigentlich, dass man die homophoben Zustände dort rechtfertigen würde, indem man sie zum unabänderlichen Bestandteil "autochthoner Kulturen" erklärt. Da niemand einen solchen Quatsch je ernsthaft vertreten hat, zielt das Argument offenbar auf etwas anderes: Kulturrelativist soll sein, wer sich weigert, den USA und Europa wegen ihrer "liberalen Einstellung" zur Homosexualität eine 'kulturelle' Überlegenheit zu attestieren. Linke sollen dieser Auffassung zufolge endlich einmal die Errungenschaften der westlichen Welt in Sachen Toleranz gegenüber Lesben und Schwulen würdigen und dafür kämpfen, sie auch Migranten "zugänglich" zu machen. Warum Lesben und Schwule aus nicht-europäischen Einwandererfamilien dieses "Weiße-Erlöser-Syndrom" als rassistische Belästigung empfinden, dokumentiert ein im Folgenden aus dem Amerikanischen übersetzter Artikel des Magazins ColorQ:

Asiatische Homophobie überbewertet

Eine asiatische Einwanderin in den USA erinnert sich daran, dass sie mit einer weißen Freundin Schluss gemacht hat, weil diese ihre Kultur und ihren Hintergrund nicht respektierte. Der Immigrantin zufolge hatte die weiße Frau kein Interesse, die Kämpfe und Aufopferungen der Familie ihrer asiatischen Freundin zu verstehen. "Sie wollte meine große weiße Erlöserin sein. Mir den amerikanischen Weg zeigen", sagte die Asiatin. "Später fand ich heraus, dass ihre Verabredungen mit migrantischen Frauen Teil eines bestimmten Verhaltensmusters waren."

Wie heterosexuelle Weiße glauben auch viele weiße Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgenders, dass farbige Frauen (oder im Fall von schwulen Männer ihre angenommenermaßen "passiven" asiatischen oder "sexuell-aggressiven, gut bestückten" schwarzen Freunde) aus ihren Herkunfts-Communities "befreit" werden müssten, die von Weißen als inhärent fehlerhaft wahrgenommenen werden. Diese Denkweise hat ihren Ursprung in der kolonialistischen europäischen Heuchelei – dem Bedürfnis, die Ausbeutung von farbigen Frauen als für diese vorteilhaft darzustellen.

Ein ausgezeichnetes Beispiel ist das Phänomen der Frauen aus dem Katalog. Südostasiatische Frauen werden in die USA gebracht, um europäisch-amerikanische Männer zu heiraten, die sie nie zuvor getroffen haben. Weiße Männer brüsten sich damit, dass sie armen asiatischen Frauen ein besseres Leben bieten, während sie die ökonomischen, sozialen oder ethnischen Ungleichheiten ausblenden, die Frauen zu solchen Entscheidungen motivieren. Viele der Frauen, die man in die USA schleppt, werden von ihren "Ehegatten" missbraucht, und auch wenn es nicht dazu kommt, muss man fragen: "Warum posieren europäisch-amerikanische Männer nicht selber in den Bildkatalogen, um von philippinischen oder Thai-Frauen betrachtet zu werden und sich der Hoffnung hinzugeben, als Ehemänner nach Südostasien geschickt zu werden?"

Die "Rettermentalität" ist ein Produkt einer europäischen männer-dominierten heterosexistischen Weltsicht, die für queeres Leben eigentlich keine Relevanz haben sollte. Ironischerweise wird sie aber von weißen Lesben praktiziert, die nicht eine Sekunde zögern, bei interethnischen Kontakten die Rolle des "dominanten weißen Männchens" einzunehmen.

Sind Asiaten homophober?

Sind asiatische Gesellschaften "von Natur aus" homophober als aufgeklärte europäische bzw. eurozentrische Gesellschaften?

Lasst uns einen Blick auf die 90er Jahre werfen:

"Internationale" (aka westliche) Nachrichtenquellen berichten, dass man zwei iranische Jugendliche, die als Homosexuelle bezichtigt wurden, bestrafte, indem man eine Mauer über sie einstürzen ließ. Das passt in die dominante amerikanische Sicht des Iran als eines geistesgestörten Ortes, der von religiösen Fanatikern islamischen Glaubens regiert wird. Um den amerikanischen Film Nicht ohne meine Tochter zu zitieren, der im Iran spielt: "Dies ist ein primitives, rückständiges Land!!!"

Aber was ist mit dem unbekannten Vorfall, der in einer amerikanischen Schule geschah? Ein mutmaßliche Lesbe, etwa 15 Jahre alt, wurde Opfer einer Gruppenvergewaltigung von Klassenkameraden. Eine Mitschülerin, die ihr nach Hause half, sah das Blut ihre Beine hinunterlaufen. Sie war eine Jungfrau bis zu ihrer Vergewaltigung. Aus Angst, dass ihre Mutter ihre angebliche sexuelle Orientierung erfahren könnte, berichtete sie den Vorfall nicht. Wäre über diese scheußliche Menschenrechtsverletzung berichtet worden, hätte es das internationale Publikum als ein Beispiel für die "wilde, primitive USA" gelesen!

Während der Vorfall im Iran das Resultat des Urteils eines Religionsgerichts in einer offenen und selbsterklärtermaßen feindlichen Umgebung war, fand der Vorfall in den USA in einer Schule statt, wo man annimmt, dass Kinder sicher seien. Im iranischen Beispiel initiierten religiöse Autoritäten die Gewalthandlung, im amerikanischen Beispiel waren Kinder die Vergewaltiger. Wenn du mich fragen würdest, welcher der zwei schockierenden Vorfälle den verschlungeneren Alptraum darstellt, würde ich den aus den USA wählen.

Sexuelle Beziehungen zwischen Frauen sind illegal in Indien. Keine Frau wurde bis jetzt verfolgt. Im Dezember 1998 attackierte ein vandalisierender Mob, der von der rechtsradikalen religiösen Hindugruppe Shiv Shena mobilisiert worden war, Kinos, in denen Fire, ein indischer Film mit lesbischer Thematik, gezeigt wurde. Damit weiße Amerikaner sich nicht selbstgerecht auf ihre Brust klopfen und behaupten, wieviel besser Schwule und Lesben in Amerika behandelt würden, denkt bitte an den Neonazi, der zwei schwule Männer ermordetete und Synagogen in Brand steckte. Was ist mit der lesbischen Frau, die von einem Auto überfahren wurde, während die Gruppe Jugendlicher hinter dem Steuer schrie: "Stirb, Lesbe!'?

In vielen nicht-weißen Gesellschaften, asiatische Nationen eingeschlossen, genießen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgenders Privilegien, von denen europäische bzw. europäisch-amerikanische Queers nur träumen können. (Hier klicken um den Artikel von ColorQ über "Queers" in der nicht-europäischen Welt zu lesen.)

Differenzen zwischen asiatischer und europäisch/amerikanischer Homophobie

Asiatische Gesellschaften sind nicht notwendig der Himmel, wenn es um Homosexuelle geht. Eltern beweinen, tadeln, ja enterben ihre queeren Kinder, besonders im Fall von Söhnen, die die Famlienlinie weiterführen sollen. Aber asiatische Gefühle der Missbilligung verblassen im Vergleich zum gewalttätigen homophoben Hass vieler europäisch-amerikanischer Familien. Ein amerikanischer Vater versuchte den Kopf seines Sohnes mit einem Hammer einzuschlagen, nachdem er herausgefunden hatte, dass er schwul ist. Dies zum Thema amerikanische Familienwerte.

Einige Asiaten, besonders diejenigen, die von europäischer bzw. europäisch-amerikanischer Kultur beeinflusst sind, wenden sich von FreundInnen ab, wenn sie herausfinden, dass diese "anders" sind. Aber eine solche passive Zurückweisung ist nichts verglichen mit dem tiefsitzenden irrationalen Hass, den einige europäischstämmige AmerikanerInnen ihren lesbisch-schwulen FreundInnen auftischen. Ein schwuler Amerikaner glaubte, es sei weise, seinem besten High-School-Freund zu erzählen, dass er schwul ist, bevor sie Zimmergenossen auf dem College würden. Das Resultat: der schwule Junge wurde auf dem Hof seines Hauses bewusstlos geschlagen und ging mit einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus. So viel zu Freundschaft. Und es gibt den wohlbekannten Fall von Brandon Teena, einem Transgenderjugendlichen, der von zwei früheren Freunden vergewaltigt und ermordet wurde, nachdem sie entdeckt hatten, dass er eine biologische Frau war.

Doch sogar im homophoben Milieu der USA können asiatisch-amerikanische Gemeinschaften akzeptierender gegenüber sexuellen und geschlechtlichen Minoritäten sein als europäisch-amerikanische Communities. Ann, eine Lesbe aus New York, erklärte: "Wir haben unsere Parade am philippinischen Unabhängigkeitstag, während irische Lesben und Schwule [am St. Patrick's Day] nicht mitmarschieren können. Bei Filipinos ist das aber in Ordnung... Wenn Fragen über schwul-lesbische Rechte oder die Rechte von Kindern oder irgendwelche anderen Minderheitenrechte auftauchen, halten die Frauen ihren Schirm nach oben. Wenn Lesben diskriminiert werden, sind es immer die Frauen, die uns unterstützen. So schaut es bei uns in der Filipino Community aus." [1]

Homophobie ein europäischer Import?

Homosexuelles Verhalten und Geschlechtertausch existieren in Asien und Australien – genau wie auf anderen Kontinenten – seit prähistorischen Zeiten. Viele Nichtweiße haben einen Platz für Queers im öffentlichen Leben oder hatten ihn wenigstens bis vor kurzem.

Es gibt Grund zu der Annahme, dass Homophobie und die Limitierung von Geschlechtsidentitäten in modernen asiatischen (und anderen nicht-europäischen) Gesellschaften ein europäischer Import ist. Singapur ist dafür bekannt, Lesben zu tolerieren. Von Schwulenklatschen hat man so gut wie noch nie etwas gehört. Trotzdem können schwule Männer nach Singapurs Sodomiegesetzen, einer britischen Hinterlassenschaft, verhaftet werden. Die meiste Homophobie geht von sich als "westlich" stilisierenden SingapurianerInnen aus, die versuchen, europäische Werte nachzuäffen und ihre asiatischen Traditionen als "heidnisch", "gottlos" und anderes mehr zu denunzieren. Politiker akzeptieren ihre westliche Erziehung als den normativen, universellen Standard und brüsten sich damit, dass sie eine angelsächsische Version von "Moral" hochhalten.

In Thailand sind Transvestiten ein häufiger Anblick; Homosexuelle sind sichtbar und in jedem Lebensaspekt, von der Grundschule bis zum College und darüber hinaus, akzeptiert. Die meisten heterosexuellen Thais haben Verwandte und Freunde, die offen schwul sind. Aber in Laos, einem benachbarten Land mit ähnlicher materieller Kultur und Sprache, müssen sich Queers verstecken. Thais und Laotianer sind so sehr verwandt, dass sie ihre Sprachen gegenseitig verstehen; Differenzen in der nationalen Küche sind minimal. Der einzige substanzielle Unterschied besteht darin, dass Laos eine französische Kolonie war, während Thailand niemals von den Europäern kolonialisiert wurde. Einige BeobachterInnen schreiben die schwierige Situation für Queers in Laos dem kulturellen Erbe der Europäer zu.

Die europäische bzw. europäisch-amerikanische Einstellung, dem Rest der Welt zu zeigen, wie man eine nicht-sexistische, nicht-homophobe Gesellschaft sein kann, ist kaum angemessen, bedenkt man, dass es in erster Linie Europäer und europäischstämmige Amerikaner waren, die ihr kulturelles Übel einer virulenten Homophobie in die nicht-europäische Welt exportierten.


[1] Lipat, Ordona, Stewart and Ubaldo, "Tomboy, Dyke Lezzie, and Bi: Filipina Lesbian and Bisexual Women Speak Out", Filipino Americans: Transformation and Identity, ed. Maria P.P. Root, 239.

Weitere Literatur

  • The Love of the Samurai : A Thousand Years of Japanese Homosexuality Tsuneo Watanabe, Jun'Ichi Iwata
  • Passions of the Cut Sleeve : The Male Homosexual Tradition in China Bret Hinsch
  • Male Colors : The Construction of Homosexuality in Tokugawa Japan Gary P. Leupp
  • Flugblattverteiler auf ESF von Antisemiten bedroht | Migrantische Kundgebung gegen Antisemitismus  >

      

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    Das Kleingedruckte: Die folgenden Kommentare bekunden die Meinung derer, die sie gepostet haben. (Punkt)
    Und weil's wiederholt zu Verwirrungen kam: Pippi Langstrumpf ist ein anonymer Account unter dem jedeR posten kann.
    Lesetipp (Score:3)
    von Perry Stroika (gigi at x-berg.de) am 19.11.2003 16:48 Uhr (#34)
    User #118 Info | http://www.besuche-oscar-wilde.de/werke/deutsch/essays/die_seele_des.htm
    Immer noch einer der besten Texte zum Export von Homophobie durch den europäischen Kolonialismus ist der Artikel von Jens Damm über postkoloniale Diskurse der Homosexualität in Taiwan und Hongkong.
    Wer bildet sich was ein? (Score:1)
    von doesn't mind am 19.11.2003 20:48 Uhr (#38)
    User #210 Info

    Kannst Du kurz erklären, was dieser Artikel zur Metakritik des Kulturrelativismus beitragen kann?

    Immerhin ist da schon in der Überschrift von "asiatischer Homophobie" und nicht etwa von Homophobie in Asien die Rede. Auch sonst hagelts setsame Begriffe. Da haben Menschen "interethnische Kontakte", es gibt "nicht-weiße Gesellschaften, asiatische Nationen", als ob Gesellschaft etwas zum Anschauen mit Farbe und nichts theoretisch aus ihren Erscheinungen zu rekonstruierendes wäre und nicht die Einheit der Nation selbst genauso gesellschaftlich wie die von ihr gefaßten Privatsubjekte.

    Menschen halten direkt ihre Kultur und nicht sich für überlegen, wenn sie eine Verhaltensweise einer Freundin nicht respektieren, und diese Freundin fühlt nicht sich nicht respektiert, sondern "ihre Kultur und ihren Hintergrund".

    Wenn "weiße Männer" (die lassen sich anschauen und können somit im Gegensatz zur Gesellschaft naja vielleicht nicht weiß, aber immerhin weißer Hautfarbe sein) sich damit "brüsten [...] armen asiatischen Frauen ein besseres Leben [zu] bieten", wenn sie sie heiraten, blendet dies dem Text zufolge "die ökonomischen, sozialen oder ethnischen Ungleichheiten" aus. Ausblenden tut hier bestenfalls die Autorin oder der Autor, dass nur die explizite Berücksichtigung des ökonomischen Unterschieds die Vorstellung ermöglicht, "armen" (!) ein besseres Leben zu bieten und die "ethnischen Unterschiede" in diesem Fall die sexuellen Phantasien des "Retters" wohl eher beflügeln als kaltlassen. Was "soziale Ungleichheiten" sind wenn sie nicht als Sammelbegriff für "von den sozialen Verhältnissen hervorgebrachte" stehen, weiss ich nicht.

    Alles in allem: Ein Text, in dem Individuen einzig als Träger ihrer Kultur auftauchen, weshalb es dann auch "in erster Linie Europäer und europäischstämmige Amerikaner waren, die ihr kulturelles Übel einer virulenten Homophobie in die nicht-europäische Welt exportierten".

    Wird der Iran also gezwungen, per Gerichtsbeschluss Mauern über Homosexuellen einstürzen zu lassen? Ober haben sie die Homophobie eingekauft - der Begriff des Exports legts nahe - weil sie großen Bedarf hatten? Und warum sind sie dann hergegangen und haben den Einkauf vertuscht mit der Story, dass es sich hierbei um einen alten religiösen Brauch handele, sprich die Scharia und nicht die "europäischstämmigen Amerikaner" es gebiete. Vor allem weil doch sonst jedes Übel aus dem Westen kommt.

    Argumentieren will ich damit nicht gegen die Vorstellung, die heute auf der Welt vorherrschende Homophobie sei nicht Produkt einer Gesellschaftsform, die im Europa ab der Mitte des letzten Jahrtausends entstanden ist. Argumentieren will ich allerdings gegen die Vorstellung, der Begriff Kultur tauge, um irgendwelche Phänomene dieser Gesellschaft auch nur zu beschreiben. Der Vorgelegte Artikel taugt nur als Demonstration, dass Überlegungen, die die Welt nicht als von ihren Subjekten vermittelte begreifen, noch hinter das zurückfallen, was diese Gesellschaft (und sie ist schon lange Weltgesellschaft) an Aufklärung immerhin kennt bzw. gekannt hat.

    Der Abzug der Subjektivität, also des gesellschaftlich formbestimmten eigenen Denkens, von den Gegenständen des Bewußtseins, in diesem Fall also der Homophobie, produziert im Bewußtsein das, was hier Kultur heißt und von der die Individuen nur noch Ausdrücke sind. Ein "Weiße-Retter-Syndrom" läßt sich aber nicht als gesellschaftliches kritiseren, wenn behauptet wird, die Kritisierten blendeten alles gesellschaftliche aus. Träten also beispielsweise nicht als reichere (sie sind es ja nur in Relation, also aus unmittelbar vom Weltmarkt verschuldeten Gründen) "weiße Männer" auf.

    Heraus kommt Subjekthypostase hoch drei: "Später fand ich heraus, dass ihre Verabredungen mit migrantischen Frauen Teil eines bestimmten Verhaltensmusters waren." Was bitteschön soll dieser Satz sagen? Handelt es sich um die Forderung, unbestimmte Verhaltensmuster an den Tag zu legen, will heißen jeden Moment neu aus absoluter Souveränität heraus, eben von nichts bestimmt, zu handeln? Ja, das heißt es bzw. vielmehr das wünscht ES und die "eigentliche Bedeutung", die dieser Satz haben soll, ist die Rationalisierung dieses Wunsches. Inhaltlich ist natürlich gemeint, dass es sich um ein rassistisch bestimmtes Verhaltensmuster handelt. Unabhängig von der Frage ob das stimmt, es geht hier nur um die Darstellung, ist, um diese Aussage treffen zu können, ein rassistisches Subjekt zu denken, und genau das Denken von Subjektivität versucht der Artikel am laufenden Band zu vermeiden. Subjektivität darf nicht als objektiv bestimmte gedacht, denn dann kann sie nicht als absolute gewünscht werden.

    Kulturrelativismus inklusive "autochthoner Kulturen", von dem Perry Stroika denkt es habe nie jemand solchen Quatsch behauptet, ist das tatsächlich nicht. Damit hat der Postrukturalismus einigermaßen aufgeräumt. Das hier ist leider, das macht die Situation so düster, ein Produkt dieser Poststrukturalismusrezeption. Während während der Rezeptionsphase der poststrukturalistischen Klassiker wenigstens versucht wurde, Subjektivität zu denken (immer wieder wurde sich am historisch schon längst vergangenen "autonomen Subjekt" abgearbeitet) ist die Subjektivität inzwischen wohl nach dem Motto "gibts nicht, müssen wir uns auch nicht mit beschäftigen" ad acta gelegt worden.

    So kommts dann auch, dass ein "Religionsgericht" zu "einer offenen und selbsterklärtermaßen feindlichen Umgebung" wird - für wen eigentlich offen feindlich, gerade das Recht ist die Form der bewußten subjektiven Vermittlung mit der Gesellschaft, in ihm findet das Subjekt sein Maß - während individuelle Homophopie in der Schule "wo man annimmt, dass Kinder sicher seien", als "verschlungenere[r] Alptraum" dargestellt wird. Ich nehme an, dass mit "verschlungener Alptraum" gemeint ist, das Homophobie dort besonders schlimm ist, wo mensch sie nicht erwartet. Es ist dies zwar tatsächlich schockierender, weil ein Überraschungsmoment hinzutritt und den Schock verursacht, aber ist es nicht dort, wo Homophobie überraschend zutage tritt, irgendwie liberaler? Wer bildet sich hier eigentlich was ein?

    Re:europäische kultur, ja bitte (Score:2)
    von clandestino (kailof2000 at yahoo.de) am 20.11.2003 16:01 Uhr (#81)
    User #134 Info | http://x-berg.de/journal.pl?op=display&uid=134 | Last Journal: 18.05.2004 0:37 Uhr
    Der schlechte Witz ist nur, das Taliban-Regime und iranische Mullahs keine mittelalterlichen Gesellschaften sind, sondern Gesellschaftsformen des 20. Jahrhunderts. Afghanistan und Iran befinden sich nicht seit Jahrhunderten in dem heutigen Zustand. Die herrschenden Zustände dort sind eben nicht "vor"modern.

    "Gebt euch nicht mit Leuten ab, die Bonnie und Clyde für Gewaltverbrecher halten" Diane DiPrima

    Re:europäische kultur, ja bitte (Score:1)
    von Danny Ocean am 20.11.2003 17:50 Uhr (#122)
    User #170 Info | http://www.rote-ruhr-uni.org/ | Last Journal: 14.05.2004 14:04 Uhr
    Ja, genau, oder wie schon eine wichtige Figur des europäischen universalistischen Diskurses schon mal anmerkte:
    Es ist nicht das Sein der Menschen, das ihr Bewußtsein, sondern umgekehrt ihr Bewußtein, das ihr gesellschaftliches Sein bestimmt.
    Also bloß nicht das eine mit dem anderen verwechseln ;-)

    Bürgerliche Gesellschaft ist praktizierter Idealismus, das Subjekt ihr souveräner Ursprung. (Joachim Bruhn)

    Re:Wer bildet sich was ein? (Score:2)
    von Perry Stroika (gigi at x-berg.de) am 21.11.2003 0:19 Uhr (#136)
    User #118 Info | http://www.besuche-oscar-wilde.de/werke/deutsch/essays/die_seele_des.htm
    "Was ist der Skandal? Welcher Skandal ließe sich nicht in der Sprache der Menschenrechte ausdrücken? Sogar das schwule Paare keine Kinder adoptieren dürfen kann so thematisiert werden."

    Letzteres verwundert mich nicht. Dann ist der Staat die Plagen doch wenigstens los und muss nicht mehr selber für sie sorgen! ;-) Ich weiß übrigens nicht, warum du ein "sogar" vor diesen Satz stellst. Du tust ja so, als würde diese Forderung an den Fundamenten der Gesellschaft rütteln und der Staat würde sie widerwillig den "Lesben und Schwulen" nur deshalb zugestehen, weil er sich nun einmal seiner Grundrechts-Charta verpflichtet fühlt.

    Natürlich formuliert der Staat allerhand Rechte für seine Bürger. Das machen die Taliban schließlich auch! Guck mal im Koran oder in der Bibel nach. Da wird dir ein Recht nach dem anderen zugeschrieben. Sogar ein Wohlfahrtssystem ist vorgesehen, auf das man sich berufen kann ("Gebet den Armen" usw.). Aber der Tatsache von Herrschaft und Ausbeutung widerspricht das kein bisschen. Und genau so ist das eben mit den Menschenrechten.

    Es gibt jetzt natürlich einige Idioten (sorry, will niemanden beleidigen!), die den Staat ausgerechnet anhand der Charta kritisieren, die er sich selber gegeben hat oder von denen sie meinen, dass er sie sich geben sollte. Bitteschön, was Besseres kann der sich für seine Legitimation gar nicht wünschen!

    War's das, was du nochmal erklärt haben wolltest, oder wolltest du vielmehr ein Gegenargument bringen? Dann hab ich es leider nicht verstanden.

    Re:europäische kultur, ja bitte (Score:0)
    von Pippi Langstrumpf am 20.11.2003 17:25 Uhr (#141)
    das hat ja auch niemand gesagt. es ist aber egal, ob man die anderen zeitlich oder örtlich auslagert, oder sie sogar als "verwandte" begreift: 1. teil des aufklärerischen diskurses sind sie jedenfalls nicht. 2. die kritik an ihnen rekurriert genau auf diesen diskurs und 3. ist dieser diskurs der europäische universalismus (nicht zu verwechseln mit der kapitalistischen produktionsweise resp. moderne
    Aufklärung u.a. (Score:1)
    von doesn't mind am 20.11.2003 19:34 Uhr (#157)
    User #210 Info
    Zunächst einmal die Klarstellung von ein paar wahrscheinlich Mißverständnissen. Ich schrieb nicht, dass es sich um einen poststrukturalistischen Text handele. Ich habe ihn als Produkt der Poststrukturalismusrezeption bezeichnet, was allein schon daran zu erkennen ist, das die „Transgenders“ problemlos zu den von dir „Identitätssubjekte“ genannten hinzugezählt wurden. Es handelt sich hier um eine Kategorie, die ähnlich wie die der „Hybridität“ die Essentialisierung vermeiden sollte, indem das Dynamische betont wird. („verdinglicht“ ist übrigens nicht nur ein anderes Wort für Essentialisierung, weil die Vermittlung von Subjekt und Objekt hier jeweils komplett anders gedacht wird, aber das ist ein anderes Thema) Können diese beiden Begriffe aber trotzdem so behandelt werden wie die alten „Identitätskonstruktionen“, ist ein Text, der dies tut, nicht „sowas [von] total unbeleckt“ vom Poststrukturalismus, sondern es stellt sich die Frage danach, wie dieser verarbeitet wurde und ob die Vorstellung von Subjektivität, die im Poststrukturalismus vorherrscht, daran nicht ihren Anteil hat. Das „gibts nicht, müssen wir uns auch nicht mit beschäftigen“, auf das ich hinwies, ist zumindest eine Konsequenz, die beispielsweise aus Butler gezogen werden kann. Meines Erachtens ist das Aufzeigen einer solchen Genealogie kein Übersehen, wie du schreibst, sondern fast schon eine Rettung des Poststrukturalismus gegen seine „diskursiven Effekte“. Du darfst das gerne auch als Kritik begreifen.

    Deine Interpretation meines „irgendwie liberaler“ am Ende scheint mir ebenfalls ein Mißverständnis zu sein. „Wer bildet sich hier eigentlich was ein?“ ist der Satz, der der rhetorischen Frage folgt und der Vergleich, den du mir unterstellst und von dem du fragst, was er taugen soll, ist einer, den der Text macht. Ich verwerfe ihn allerdings nicht sondern belege an dem Ergebnis des Vergleichs im Text meine These vom Herausstreichen der Subjektivität. Der Text anerkennt weder die Rechtssubjekte im Iran noch die historische Genesis dieser Subjektivität, die sich eben im Liberalismus als durch Recht vermittelte zum ersten Mal reflektierte. Gerade diese Reflexion, die keine Zutat sondern ihr Wesen und von der gesellschaftlichen Totalität erzwungen ist, macht sie sogar aus. Nur wer diese Reflexion und damit den allgemeinen gesellschaftlichen Zwang an sich selbst verdrängt, kann zu dem Ergebnis im Text kommen. Liberalität wird in ihm nicht kritisiert, sondern implizit behauptet – darauf bezog sich mein „Wer bildet sich hier was ein?“ – und dann schlichtweg verworfen. Denn mal Hand aufs Herz. Was ist dir lieber: Ein Gesellschaftszustand, in dem ein Großteil der Individuen homophob ist und das Recht die daraus folgende Aggression stützt bzw. exekutiert oder einer, in dem ein Großteil der Individuen homophob ist und diese die Exekution durch das Recht zwar wünschen, aber bei eigenständiger Exekution im günstigsten Fall von Rechts wegen verurteilt werden?

    Aber hier beginnen, denke ich, die Mißverständnisse so langsam in eine verschiedene Positionen überzugehen. Wenn ich deine Argumentation richtig verstehe, behauptest du zur einen Seite hin, diese Liberalität und die zugehörige Subjektivität sei das eine herrschaftlich Partikulare, dies herausgestellt zu haben ist sei das Verdienst des Textes, während die „anderen Kulturen“ auf ihre Weise herrschaftlich partikular sind. Weil es dir aber auf die Herrschaft ankommt bzw. auf deren Kritik, findest du das unwichtig. Nur deswegen, aus dieser von dir gesetzen Gemeinsamkeit, leitest du ab, das Homophobie hier und in Asien die gleichen sind. Zur anderen Seite (und ich kann das nicht zusammenbringen), sprichst du von „gleicher Formbestimmtheit“ und „gleichen historischen Ursachen“. Wenn das der Fall ist (zumindest der „gleichen Formbestimmtheit“ stimme ich zu, die historische Genesis ist durchaus verschieden, allein schon weil kolonialisierte Staaten anders Geschichte machen als kolonialisierende), warum kannst du dann noch die Rede von verschiedenen Kulturen irgendwie verdienstvoll finden? Ich versuche mal zu schreiben, was ich mir unter „gleicher Formbestimmtheit“ in diesem Fall vorstelle, vielleicht wird’s dann klarer.

    Homophobie entsteht, ich weiss nicht ob wir uns da einig sind, zunächst einmal aus der Verdrängung der polymorph perversen eigenen Sexualität, wobei diese Sexualität kein Urzustand ist, weil gerade ihre polymorph perversen Eigenschaften keine Sexualität sind. Sexualität wird sie erst mit der patriarchalen Organisation der eigenen Objektwahl in der gesellschaftlich bestimmten (!) Familie. Gesellschaftlich bestimmt meine ich im Sinne von „Die Familie ist die Keimzelle des Staates“, also eine explizit bürgerliche Fassung, in der sich die Familie nur als durch die Genealogie bestimmte Ansammlung von Individuen (Vater, Mutter, Kind, Großvater, Großmutter etc.) kennt, aus denen sich ihr persönliches Verhältnis ergibt. Die klassische Abstammungsgemeinschaft eben. Vermittelt ist die Individualität innerhalb der Familie durch den Vater, aber nicht als biologischer Vater, das wäre ein Zirkelschluß weil die Genealogie ja das Vermittelte ist, sondern durch die Fixierung der gesellschaftlichen Dynamik im privaten, die er in der Regel repräsentiert. Da wir ja auf die Frage der „kulturspezifik“ der Homophobie herauswollen, verzichte ich jetzt mal darauf, auch noch zu schreiben, wie ich mir Werdegang und Charakter der geschlechtsspezifisch (!) unterschiedlichen homophoben Fixierungen vorstelle. Sowohl sind Frauen und Männer anders homophob als auch die Ressentiments Lesben und Schwulen gegenüber verschieden.

    Zu bestimmen ist Homophobie meines Erachtens jedenfalls nicht aus der Familienstruktur, sondern aus der spezifischen Stellung, die die Familie bzw. allgemeiner die Organisation der persönlichen Beziehungen, die alternativen „Partnerschaften“ und nicht einmal die alleinerziehenden Mütter und Väter unterscheiden sich da wesentlich nicht, zum Prozess der gesellschaftlichen Vermittlung. Abgekürzt: Die Subjekte erlernen und formen ihre Subjektivität dort, wo sie lernen, das es auf sie als Einzelne nicht ankommt.

    Sobald die homophoben Aggressionen als von Staats wegen exekutierbar gedacht werden, verweist das auf dieses Allgemeine, das zunächst einmal nur darin besteht, das die Familie überhaupt bestimmt ist. Das bei dieser Bestimmung jeweils auf andere Traditionen verwiesen wird, verweist nur darauf, das der Staat auf unterschiedliche Voraussetzungen trifft.

    Ein gegenteiliges Beispiel wäre die Vorstellung von Homosexualität als (schon vollzogene) Strafe Gottes. Es geht dabei nicht um eine Strafe für Homosexualität, sondern die Homosexualität selbst ist die Strafe. Ein solcher Ausschluß hat etwas aus heutiger Perspektive fast schon tolerantes, weil diejenigen, die sie vollziehen, sich ihrer selbst nicht mächtig fühlen. Für ihr ebenso homophobes Verhalten brauchen sie eine außerweltliche Instanz. Es ist die eine Vorstellung, die heute meines Erachtens kaum noch eine Rolle spielt. In den Diskussionen um Aids gibt bzw. gab es sie manchmal. Demgegenüber verweist die Homophobie aus eigener Souveränität, also vermittelt durch die Macht des Subjekts, auf einen Stand der Naturbeherrschung, hier im Bezug auf die innere Natur gleich Selbstkontrolle, nach dem es als selbstverschuldet gilt, wenn Menschen ihren „widernatürlichen“ Trieben nachgeben. Nach den Gesetzen der Wissenschaft ist der Mensch durch den Menschen formbar. Seine Natur ist ein (absolutes) Moment lang kein Schicksal, und in diesem Moment, philosophisch ist es unmittelbar Gegenstand des Idealismus, gilt die Abweichung nicht mehr als falsche, andere Natur, sondern als „wider die Natur“. Sachlich ein Verstoß gegen die Genealogie. Die moderne Schicksalsehnsucht versucht permanent, sich dieses Moments wieder zu entledigen.

    Es ist dies ein Produkt der Aufklärung und die Bestimmung der Genealogie, die Realisierung der eigenen Existenz in abstrakt allgemeiner Form – und hier kommt jetzt glaube ich unsere Differenz – ist ein Akt der Aufklärung. Ihr Instrument ist die Wissenschaft, in diesem Fall die Biologie. Der Westen erscheint tatsächlich als derjenige, „der der Welt die Aufklärung gebracht hat“. Die Reflexion auf die Bedingungen der eigenen Existenz ist vom abstrakten, allgemeinen, herrschaftlichen Unwesen erzwungen und nicht nur das Wesen, auch das Unwesen muß erscheinen, tut dies aber als Unmittelbares. Es ist dies realer Schein. Ob das „gut“ in Relation zu einer existierenden oder utopischen Alternative ist, ist hier nicht die Frage. Die Dialektik der Aufklärung existiert wirklich nur unter der Bedingung, das Aufklärung objektiv ist, weil die Gesellschaft den Gegenstand ihrer Erkenntnis, sich selbst, als Objekte vor sich hat. Das läßt sich, mit ein wenig gegen den Strich lesen, meines Erachtens auch von Foucault lernen.

    Wenn der Artikel dahinter zurückfällt, dann nicht, weil Aufklärung ein Fortschritt gegenüber dem Kulturalismus wäre sondern weil der Kulturalismus die – ich nehme mal deinen Begriff, obwohl ich nicht sicher bin ob wir damit das gleiche meinen – Selbstkritik der Aufklärung hintertreibt, weil eben die Vermittlung des Mythos durch die in diesem Fall Selbstliquidation des Subjekts gestrichen wird. Genealogie betreiben ist Selbstbestimmung im wahrsten Sinne des Wortes, nur eben eines zutiefst abhängigen und in dieser Abhängigkeit unterworfenen Selbst. Deswegen wird aus „Was ist meine Geschichte?“ unmittelbar „Was bin ich?“. Aufklärung ist in diesem Moment Mythos. Kommunismus muß sich dementsprechend auch nicht an der Selbstkritik der Aufklärung orientieren, sondern diese betreiben. Denn benennbar sind die konkreten Schädigungen nur in Relation zu den Möglichkeiten, die die Gesellschaft heute kennt bzw. kennen könnte, wenn ihre Subjekte den wollten. Und die Auflösung des „polymorph Perversen“ in Freiheit gehört hier allemal dazu.
    europäische kultur, ja bitte (Score:0)
    von Pippi Langstrumpf am 20.11.2003 14:48 Uhr (#186)
    wenn dieser artikel eins nicht belegt, dann das die europäische kultur in sachen sexismus nicht fortschrittlicher wäre, als andere. man wird ja wohl kaum mittelalterliche gesellschaften mit der moderne vergleichen wollen. die moderne rationalität und die moderne kultur hat - das hat wohl auch noch nie jemand vernünftiges bestritten - ihre dunklen seiten. foucault hat dies sehr klar gezeigt. dennoch ist die daraus entstandene kultur gerade die bedingung der möglichkeit eines emanzipatorischen diskurses. selbst wenn die genesis dieser kultur über die heterosexuelle kleinfamilie sich fortwälzte, ist ihr universalistischer Gehalt und dessen Geltung mehr wert als das faktische aber grundlose nicht-diskriminiert sein in der vormoderne.
    Re:Wer bildet sich was ein? (Score:2)
    von Perry Stroika (gigi at x-berg.de) am 20.11.2003 4:15 Uhr (#196)
    User #118 Info | http://www.besuche-oscar-wilde.de/werke/deutsch/essays/die_seele_des.htm
    Postrukturalismus? Der Text ist doch von sowas total unbeleckt. "Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgenders", also diese Identitätssubjekte, die eben das Resultat einer bestimmmten historischen Denkform sind, werden hier gnadenlos "essentialisiert" (wenn'S das weniger pomo formuliert haben möchten, schreiben'S einfach: "verdinglicht"). – Komischerweise übersiehst du das komplett! – Und dasselbe passiert natürlich auch mit "Weißen", "Asiaten" usw. Am liebsten hätte ich bei der Übersetzung jeden solchen Identitätsausdruck in Anführungszeichen gesetzt.

    Zur Kritik von Kulturalismus taugt der Text also in der Tat nicht die Bohne; im Gegenteil, er bleibt ihm durch und durch verhaftet. Aber was er immerhin tut, ist zu sagen, dass die beiden "Kulturen", die vom Kulturrelativismuskritiker miteinander verglichen werden, eben beide von Herrschaftsverhältnissen durchzogen sind, die, und das ist die Pointe, auch noch dieselben historischen Ursachen (d.h. die gleiche Formbestimmtheit) haben. Die Homophobie in Asien ist eben keine andere als die in Europa.

    Bei der Übersetzung des Textes ging es mir darum, dass die Kulturrelativismuskritiker bei den zwei "Kulturen", die sie aufmachen (sie sind nämlich meist selbst kulturalistisch unterwegs), die eine als neutralen Maßstab setzen, um mit ihr die andere als "zurückgeblieben" darzustellen. Kritiker des Kulturrelativismus sind also selber knallharte Relativisten, die gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse – welche man natürlich kritisieren muss, egal wo sie auftreten – nur auf der einen Seite wahrnehmen, während sie sie auf der anderen komplett ausblenden.

    Ich teile deine Kritik am Kulturalismus des Textes, weise deine Argumentation aber dort zurück, wo du selber relativistisch zu werden beginnst. Ansatzweise z.B. schon hier:

    "Der vorgelegte Artikel taugt nur als Demonstration, dass Überlegungen, die die Welt nicht als von ihren Subjekten vermittelte begreifen, noch hinter das zurückfallen, was diese Gesellschaft (und sie ist schon lange Weltgesellschaft) an Aufklärung immerhin kennt bzw. gekannt hat."
    Da erscheint der gute Westen wieder einmal als derjenige, der der Welt die Aufklärung gebracht hat, nicht wahr? Er hat ihr aber doch mindestens ebenso den Kulturalismus gebracht, das heißt das konsequente Denken in solchen Identitätsformen! Was heißt also: "fällt zurück"? Wo ist das Vorne und das Hinten? Ist Kulturalismus eine Denkform von gestern, die von der Aufklärung überwunden worden wäre? Oder hat die Aufklärung nicht vielmehr selbst den Akt vollzogen, dass sich europäische Menschen als "Subjekte" wahrnehmen, die anderen aber als bloße Anhängsel einer "Kultur"?

    KommunistInnen sollten sich eben nicht an der bürgerlichen Aufklärung orientieren, sondern vielmehr an deren Selbstkritik. Sie sollten sich nicht an den "Menschenrechten", an der "liberalen Demokratie", an den "westlichen Werten" festklammern, die alle nur bürgerliche Staatlichkeit affirmieren, sondern die konkreten Schädigungen benennen, die Menschen durch die Gesellschaft erfahren. Man braucht keine normativen Maßstäbe, wie der Kulturrelativismuskritiker glaubt, um das Falsche zu kritisieren. Man braucht nur die Erkenntnis, dass die Beschränkungen des Lebens, die uns durch die bürgerliche Gesellschaft und ihre Verfallserscheinungen an der Peripherie auferlegt werden, nicht notwendig sind, sondern ein Skandal. Du aber schreibst:

    "Ich nehme an, dass mit 'verschlungener Alptraum' gemeint ist, dass Homophobie dort besonders schlimm ist, wo mensch sie nicht erwartet. (...) Aber ist es nicht dort, wo Homophobie überraschend zutage tritt, irgendwie liberaler?"
    Da frage ich mich schon, wozu dieser Vergleich taugen soll. Dazu, dass wir die bürgerliche Gesellschaft der Metropolen, die doch die identitären Zurichtungsweisen erst erfunden hat, nach denen Homosexuelle anderswo umgebracht werden, als vergleichsweise liberal anerkennen? Und was hat man davon?
    Re:Wer bildet sich was ein? (Score:0)
    von Pippi Langstrumpf am 20.11.2003 14:58 Uhr (#197)
    "Man braucht keine normativen Maßstäbe, wie der Kulturrelativismuskritiker glaubt, um das Falsche zu kritisieren. Man braucht nur die Erkenntnis, dass die Beschränkungen des Lebens, die uns durch die bürgerliche Gesellschaft und ihre Verfallserscheinungen an der Peripherie auferlegt werden, nicht notwendig sind, sondern ein Skandal." o perry, junge, bist du jetzt bei der bahamas angelangt. Verfallsanscheinungen an der Peripherie der bürgerlichen Gesellschaft klingt ein wenig wie die parole der genossen von der rim von homosexualität als ausdruck der bürgerlichen dekadenz - sollte ja bekanntlich später wieder wegerzogen werden - aber das meinst du ja wohl nicht. Gut du willst Beschränkungen des Lebens aufheben, du alter Stürmer und Dränger, aber welche? ist das Kritik? Was ist der Skandal? Welcher Skandal ließe sich nicht in der Sprache der Menschenrechte ausdrücken? Sogar das schwule Paare keine Kinder adoptieren dürfen kann so thematisiert werden. Was nicht? Das x-wareA = yWareB ist? Überhaupt ist die Genesis der Menschenrechte ein Problem ihrer Geltung?
    GLADT über lesbisch-schwulen Rassismus (Score:2)
    von Perry Stroika (gigi at x-berg.de) am 19.11.2003 18:35 Uhr (#216)
    User #118 Info | http://www.besuche-oscar-wilde.de/werke/deutsch/essays/die_seele_des.htm
    Siegessäule titelt: »Türken raus«: Nicht alle Schwulen fortschrittlich?

    jW fragte Hakan Tas, Sprecher der Berliner Gruppe »Gays & Lesbians aus der Türkei« (GLADT)

    F: Mehrere homosexuelle Einrichtungen, Zeitungen und Einzelpersonen in Berlin haben sich in den vergangenen Wochen offenbar dem Ziel verschrieben, ihren plumpen Rassismus gegen Migranten in die Öffentlichkeit zu tragen. Auf dem Cover der Novemberausgabe des Berliner Homo-Magazins Siegessäule prangt in großen Lettern »Türken raus«. Bastian Finke vom »Schwulen Überfalltelefon Berlin« beschwor, daß »die öffentliche Gefahr für Schwule extrem von Jugendlichen türkischer oder generell islamischer Prägung« ausgehe und Alexander Zinn vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) geißelt in Interviews die Arbeit Ihrer Gruppe. Was setzen Sie solchen Verunglimpfungen entgegen?

    Homophobie ist ein Problem in allen Gesellschaften. Einzelne Bevölkerungsgruppen kollektiv in die Ecke zu stellen und dann so zu tun, als wäre dies allein ihr Problem, ist dumm und gefährlich. Indem man sagt, Migrantinnen und Migranten sind besonders homophob, sagt man gleichzeitig, daß Mehrheitsdeutsche weniger oder gar nicht homophob seien. In wessen Interesse das sein soll, weiß ich nicht. So wenig wie hier alle Menschen christlich sind, so wenig sind die Menschen aus der Türkei alle »islamisch«. Vor allem gewaltbereite Jugendliche sind oft gar nicht gläubig, geschweige denn religiös geschult. Aber die weisen weißen Männer brauchen wohl ein klares Feindbild. Wenn die gleichen Personen und Institutionen den gleichen Eifer im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus aufbringen würden, sähe dieses Land heute sicher deutlich anders aus.

    F: Höhepunkt der Kampagne war ein Artikel von Jan Feddersen in der taz vom 8. November, in dem er offen rassistische Klischees propagiert. Schon in den Wochen zuvor haben sowohl bürgerliche als auch linke Zeitungen die rechten Parolen schwuler Verbandsfunktionäre unkommentiert veröffentlicht. Hatten Sie die Möglichkeit, einmal Ihre Sicht der Dinge darzustellen?

    Wir haben vor der Veröffentlichung seines Artikels mit Herrn Feddersen telefoniert. Unsere Antworten wurden verzerrt wiedergegeben. Wir haben nie davon gesprochen, daß die »vormodernen« Migrantinnen und Migranten »zivilisiert« werden sollten.

    F: Selbst antirassistisch arbeitende Gruppen hatten Schwierigkeiten, sich deutlich gegen den schwulen Rassismus zu positionieren. Einzig das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk) stellte sich auf die Seite der Migranten. Ist das diffuse Gefühl, daß Lesben und Schwule per se fortschrittlich sind, noch zu sehr in den Köpfen mancher Linker verankert?

    In der Tat zeigt ja das Beispiel von Pim Fortuyn in den Niederlanden, daß schwule Männer mitnichten nur liebe, nette Zeitgenossen sind. Als doppelte Minderheit innerhalb unserer ethnischen Community und innerhalb der lesbisch-schwulen Szenen sind wir da vielleicht eher sensibilisiert als die Linken, die denken, daß sie mit jemandem solidarisch sein müssen, nur weil er schwul ist.

    F: Kürzlich haben Sie erstmals einen Kongreß für Schwule und Lesben aus der Türkei in Berlin veranstaltet. Waren die Ereignisse der zurückliegenden Wochen auch dort Thema?

    Wir haben einen notwendigen und guten Dialog mit MigrantInnenorganisationen begonnen, den wir fortsetzen werden. Sie sind, anders als das bestimmte Leute gerne sehen würden, sehr offen für unsere Belange. Migrantinnen und Migranten sind nicht per se homophob. Man sollte die sozialen Ursachen der Homophobie untersuchen, statt Probleme zu ethnisieren, dann würde man vielleicht die Gemeinsamkeiten mit Mehrheitsdeutschen erkennen und könnte dann gemeinsam vorgehen, ohne zwanghaft Sündenböcke suchen zu müssen. Für einen solchen Dialog sind wir bereit, das hatten wir auch Herrn Feddersen gesagt.


    Quelle: junge Welt vom 19.11.2003

    Kulturrelativismus (Score:2, Interesting)
    von abdel kader am 19.11.2003 18:38 Uhr (#217)
    User #133 Info | http://www.twokmi-kimali.de/texte/si-ueber_das_elend_im_stud.htm | Last Journal: 02.05.2004 21:32 Uhr
    Perrys Artikel zeigt sehr anschaulich wie Homophobie(und Sexismus) selektiv im "Anderen" wahrgenommen wird, aber niemals oder nur selten in der eigenen Gesellschaft. Berühmtestes Beispiel waren die Frauen von Afghanistan, die für eine kurze Zeit Aufmerksamkeit durch die Medien geschenkt bekamen, deren Elend aber nie im Kontext einer allgemeinen Sexismuskritik diskutiert wurde. Sehr schön sieht man das am Bollywoodfilm Escape from Taliban". Dennoch gibt es Kulturrelativismus: Dinge als legitim zu sehen, wenn es zu "ihrer Kultur gehört"(Objekt sind beliebige FremdländerInnen). Man ist halt grundsätzlich gegen den Walfang, aber die Inuit dürfen das, da es ja zu ihrer Tradition gehört. Nur sind die meisten KulturrelativistInnen selten so konsequent, dass sie dann auch für Steinigung oder für Genitalverstümmelung sind, aber solche Positionen gibt es.

    Jeder ist so viel wert wie er verdient, jeder verdient so viel er wert ist.

    (Horkheimer/Adorno)

    Sinn und Unsinn von Vergleichen (Part I) (Score:2)
    von Perry Stroika (gigi at x-berg.de) am 25.11.2003 1:26 Uhr (#220)
    User #118 Info | http://www.besuche-oscar-wilde.de/werke/deutsch/essays/die_seele_des.htm
    Der Vergleich, den du mir unterstellst und von dem du fragst, was er taugen soll, ist einer, den der Text macht.

    Du machst ihn, weil der Text ihn macht, und der Text macht ihn, weil Eurozentristen ihn machen. Natürlich kann man Vergleiche anstellen, unter anderem zu dem Zweck, die Spezifik der Vergesellschaftungs- und Zurichtungsweisen hier besser zu begreifen und zu attackieren. Aber wenn das dazu geschieht, sie zu verharmlosen, handelt es sich um eine ideologische Operation.

    Denn mal Hand aufs Herz. Was ist dir lieber: Ein Gesellschaftszustand, in dem ein Großteil der Individuen homophob ist und das Recht die daraus folgende Aggression stützt bzw. exekutiert oder einer, in dem ein Großteil der Individuen homophob ist und diese die Exekution durch das Recht zwar wünschen, aber bei eigenständiger Exekution im günstigsten Fall von Rechts wegen verurteilt werden?

    So einfach ist der Vergleich nicht. Im Iran sind sexuelle Kontakte zwischen Personen gleichen Geschlechts noch wesentlich häufiger und "normaler" als in den USA oder Europa. In Deutschland etwa ist der Zahl der Jugendlichen, die solche Erfahrungen in Umfragen angeben, allein in den letzten 30 Jahren von ca. 20 auf zwei Prozent geschrumpft, während die Rate von Suizidversuchen bei lesbisch-schwulen Jugendlichen (etwa in Berlin) heute bei ca. 18% liegt.

    Und du darfst auch nicht ganz die Vergangenheit ausblenden. Gesellschaften sind raumzeitliche Gebilde, und ihre Durchsetzungsgeschichte ist ein Teil, der in ihre Bewertung einfließen sollte. Die Todesstrafe für "Sodomie" wurde im Europa des 12. Jh. im Rahmen der Kreuzzugspropaganda gegen die islamische Welt eingeführt. Sie wurde jedoch im Mittelalter jahrhundertelang nicht oder nur extrem selten angewendet. Verfolgungen, Massenverstümmelungen und -hinrichtungen von "Sodomitern" begannen erst in den bürgerlich-aufgeklärten Gesellschaften danach: in Florenz und Venedig schon ab der zweiten Hälfte des 14. Jh., in England und den Niederlanden ab Ende des 17. Jh., in Deutschland und den USA ab Ende des 19. Jh. Heute gibt es dort zwar meist keine Strafen mehr für "gleichgeschlechtliche Unzucht". Jedoch nur um den Preis, dass das Recht durch die Norm ersetzt wurde, der Handlungs- durch einen Seinsdiskurs. Die Folge ist eine homosexuelle Panik in der Bevölkerung und eine gewalttätige Homophobie, die vermutlich zu mehr Toten führt als die sporadischen Hinrichtungen im Iran.

    Selbstverständlich ist das alles andere als eine Verteidigung des Mullah-Regimes. Denn die Exekutionen dort sind der gewaltsame, vom Staat in einer Art "ursprünglichen Akkumulation" forcierte Beginn einer Sortierung von Menschen nach sexuellen Identitätskategorien, die in Europa bereits abgeschlossen ist. Wo der Fremdzwang, auf den Liebesverkehr mit dem gleichen Geschlecht zu verzichten, in den Selbstzwang übergegangen ist, sich heterosexuell definieren zu müssen, sind Strafgesetze überflüssig. Die Reproduktion von "Zwangsheterosexualität" besorgt dort die homophobe Subjektform ganz von selbst.

    "Daß es freilich im Mittelalter, in den von Lukács einstmals als sinnerfüllt gepriesenen Zeiten, nicht soviel besser bestellt war als heute; daß am Ende das Individuum nur deshalb zugrunde geht, weil seine Freiheit die ganze Geschichte hindurch mißlang, ist wohl wahr. Tatsächlich erhält eine Ontologie sich die Geschichte hindurch, die der Verzweiflung. Ist sie aber das Perennierende, dann erfährt das Denken jede Epoche, und zuvor die eigene, von der es unmittelbar weiß, als die schlimmste." (Theodor W. Adorno)

    Re:Sinn und Unsinn von Vergleichen (Part I) (Score:1)
    von doesn't mind am 25.11.2003 1:27 Uhr (#221)
    User #210 Info
    Zunächst einmal zum Vergleich, von dem du behauptest, der Ausgangstext hätte ihn genauso aus dem Eurozentrismus übernommen wie ich ihn aus ihm. Es ist schon ein Unterschied, ob ich, wie der Text, ein Kriterium für einen Schluß aus dem Vergleich einführe (man nehme an, Kinder seien sicher und es waren Kinder als Täter), oder ob ich, wie ich es getan habe, die innere Logik dieses Kriteriums und des damit zusammenhängenden Schlusses darlege und daraufhin sage, wenn schon die Logik der subjektiven Verantwortung (genau hier entsteht die Liberalität) angelegt wird (und eine andere steht uns nicht wirklich zur Verfügung), dann ist ein anderer Schluß zu ziehen.

    So einfach sei der Vergleich nicht sagst du und wechselst das Thema. Auf ein mal reden wir über die Häufigkeit von Homosexualität und nicht mehr über die Homophobie und ihre Ursachen. Mag ja sein, dass du da einen Zusammenhang siehst, ich sehe ihn zumindest nicht unmittelbar. Im Sinne deiner Argumentation scheint mir der zu sein, dass eine hoher Anteil homosexueller Kontakte auf ein geringes Maß an Homophobie schließen läßt. Das passt zumindest auch der Logik nach zu deinem letzten Satz: "Wo der Fremdzwang, auf den Liebesverkehr mit dem gleichen Geschlecht zu verzichten, in den Selbstzwang übergegangen ist, sich heterosexuell definieren zu müssen, sind Strafgesetze überflüssig. Die Reproduktion von "Zwangsheterosexualität" besorgt dort die homophobe Subjektform ganz von selbst." Wenn ich dich richtig verstehe meinst du so in etwa, dass die Menschen sich in den Metropolen homophob gegenüber sich selbst verhalten.

    Nicht das die Geschichte der Subjekte nicht tatsächlich die Geschichte der Gewalt wäre, die sie sich antun. Darauf willst du wahrscheinlich hinaus, aber deine Argumentation hat einen Haken. Wenn es nichts dieser Gewalt widerstrebendes mehr gäbe, wenn die Subjektform tatsächlich alles von selbst besorgte, und nicht in der Verwaltung der seelischen Konflikte bestünde, wenn die Triebregungen nicht Produkt einer Dynamik wären, die sich aus ihrem Gegeneinander und dem Gegeneinander der innerpsychischem Instanzen ergäben, wäre von Zwang nicht zu sprechen. Und von Leiden schon gar nicht. "Wenn ich für meine schwulen/lesbischen/transgender-Bedürfnisse verprügelt oder vergewaltigt werde habe ich sie halt nicht" ist eben kein gangbarer Weg, auch wenn das dauernde Beharren darauf, dass es sich beim Körper ja nur um eine Konstruktion handele, diesen Schluß nahezulegen scheint. Denn selbst wenn das "dann habe ich sie halt nicht" tatsächlich als Wunsch existiert, entsteht daraus nur ein neuer Konflikt. Und die Behauptung, dass die sexuelle Orientierung angeboren ist, ist demgegenüber nicht die einzelne andere Möglichkeit, Sexualität zu denken.

    Homophobie existiert im wesentlich tatsächlich auf einer anderen Ebene als auf der des Rechts, aber sie existierte nicht von Staats wegen, durchzöge sie nicht die privaten gesellschaftlichen Beziehungen. Und für unsere Ausgangsfrage ist von Belang, ob sie dies im Iran und hier auf die gleiche Art und Weise tut. Du sagst ja, ich sage ja, nur sind wir uns uneins, was daraus zu schließen ist.

    Aber auch umgekehrt läßt sich dein Widerspruch aufdröseln. Wenn du deine Argumentation, das im Iran erst historisch mit dem begonnen wird, was im Westen schon so weit fortgeschritten ist, dass es das Gesetz nicht mehr braucht, wirklich erst nähmest, warum entwickelst du dann nicht einfach folgende Perspektive:

    1. Die Menschen im Trikont (ich verallgemeinere mal, immer nur der Iran ist ja langweilig) sind noch nicht zum Selbstzwang übergegangen, es gibt bei ihnen den Fremdzwang noch nicht. 2. Der Westen versteht sich selbst nicht und weiss nicht das das, was sein InsassInnen heute freiwillig tun, nur Produkt einer Geschichte der Gewalt ist. 3. Dann soll der Westen mal ordentlich die Organisation der Staaten im Trikont nach westlichem Muster übernehmen. Gesetze gegen Homosexualität werden sie schon nicht einführen, darüber wähnen sie sich ja historisch hinaus. 4. Revolution ohne staatliche Repression ist einfacher als solche mit. 5. Errichten die USA oder Europa ihr Freedom und Democracy gegen die Zurückgebliebenen in aller Welt, steigen die Chancen für die Revolution. Denn bis die merken was gespielt wird und wieder zum Fremdzwang greifen, haben wir, also die Front in den Metropolen und die Massen im Trikont, die schon überrumpelt.

    Das klingt dir alles viel zu sehr nach Bahamas, stimmts? Oder nach dem Internationalismus der 70/80er Jahre und seinem revolutionären Subjekt? Aber dein Beitrag heißt ja Part I.
    samoa queens (Score:2)
    von clandestino (kailof2000 at yahoo.de) am 30.11.2003 21:14 Uhr (#287)
    User #134 Info | http://x-berg.de/journal.pl?op=display&uid=134 | Last Journal: 18.05.2004 0:37 Uhr
    Homosexuelles Verhalten und Geschlechtertausch existieren in Asien und Australien – genau wie auf anderen Kontinenten – seit prähistorischen Zeiten. Viele Nichtweiße haben einen Platz für Queers im öffentlichen Leben oder hatten ihn wenigstens bis vor kurzem.
    Als gutes Beispiel hierfür könnten die Fa’afafine auf Samoa dienen, über die seit einiger Zeit ein Dokumentarfilm mit dem Titel "Samoa Queens" durch die öffentlich-rechtlichen Sender geistert (den ich bisher aber noch nicht selbst gesehen habe).
    "Sie scheinen die schönsten Frauen der Südseeinsel Samoa zu sein. Doch geboren wurden sie als Männer. Sie sind Fa'afafine: Männer, die als Frauen leben - das dritte Geschlecht Polynesiens. Gibt es in einer Familie zu wenig Mädchen, die bei der Hausarbeit helfen, erzieht man einen Jungen als Mädchen. Diese soziale Umwandlung der Geschlechter hält meist ein Leben lang: Weibliche Männer sind Teil der traditionellen Kultur Polynesiens und gesellschaftlich akzeptiert. In vielen Familien gibt es sogar zwei oder drei Fa'afafine. Fa'afafine gelten nicht als homosexuell - eine Fa'afafine fühlt und begreift sich als Frau, ihre Beziehung zu Männern gilt als heterosexuell."

    "Gebt euch nicht mit Leuten ab, die Bonnie und Clyde für Gewaltverbrecher halten" Diane DiPrima