5. Internationales Charles Bukowski-Symposium 2003

bearbeitet von derBorst am 29.10.2003 1:13 Uhr
Kultur Roni schreibt: Andernach am Rhein ist eine kleine Stadt. 30.000 Einwohner und alle paar Jahre ein verheerendes Hochwasser. Mehr gibt's in Andernach nicht - fast: Das Geburtshaus von Charles Bukowski steht da, und deshalb fand dort auch in diesem Jahr das Symposium der Charles-Bukowski-Gesellschaft statt. Wie üblich am Wochenende des 16. August, dem Geburtstag des Schriftstellers. [Weiterlesen]
Die Bukowski-Gesellschaft versucht seit mittlerweile mehr als sieben Jahren, den Ruf des "trivialen Schmuddelschreibers" von ihrem Autor zu waschen. Mit einigem Erfolg: so gelang es beispielsweise, die Stadt Andernach, die sich früher bezüglich ihres berühmten "Sohnes" eher bedeckt hielt, zu überzeugen, dass man auf Bukowski durchaus stolz sein kann. So ziert inzwischen eine Gedenktafel das Geburtshaus, und in der Stadtbibliothek hat Bukowski sogar eine eigene Abteilung bekommen. Auch das alljährliche Symposium wird mit großem Engagement unterstützt.

Freitag, 15. August 2003

BukDas Hotel "Andernacher Hof" in Bahnhofsnähe gilt traditionell als DIE Anlaufstelle für alle zum Symposium Angereisten. So kamen die diesjährigen Teilnehmer auch hier gegen Abend zusammen. Martin "Norm" Stein, Gründer der Bukowski-eGroup DirtyOldMan und Peter Knöschke, Kassenwart der Gesellschaft, waren die ersten. Dann kamen Horst Schmidt samt Begleitung, Autor des leider vergriffenen Buches "It's good to be back", einer Untersuchung über die Bukowski-Rezeption in Deutschland (neuesten Informationen zufolge soll das Buch 2004 in einer überarbeiteten & erweiterten Auflage im Augsburger MaroVerlag erscheinen), Sigrid Fahrer, die kürzlich eine Magisterarbeit über "Die Authentizität des Außenseiters: Eine Etappe der literarischen Charles Bukowski Rezeption in der BRD" vorgelegt hat, sowie Shane Rhodes mit seinem Grafiker Owen Benwell, Verleger des Jules Smith-Buches "Art, Survival and So Forth: The Poetry of Charles Bukowski" (Wrecking Ball Press, 2000). Im weiteren Verlauf erschienen Benjamin Lauterbach und Markus Prem, beide aktive Mitglieder der Gesellschaft, sowie Diana Liebig und Michael "Chilemsky" Schmelich, die zusammen das Symposium 2003 organisiert haben. Schließlich trudelte noch Falko Hennig, Gründer der Gesellschaft, samt seiner Entourage ein. Natürlich ebenfalls anwesend: der Schreiber jener Zeilen und nebenbei Webmaster der Gesellschaftshomepage.

Als dann der Wirt im "Andernacher Hof" vor Müdigkeit fast umzufallen drohte, gingen einige noch in jene dubiose Bar namens "Atlanta", wo der Chef eine ordentliche Menge Drinks spendierte und auf der Gitarre Welthits der Rockmusik intonierte...

Samstag, 16. August 2003

Erster offizieller Tag. Morgens um zehn das erste Treffen im historischen Rheintor, dessen Konferenzraum von der Stadt Andernach jedes Jahr zur Verfügung gestellt wird. Hier stießen die restlichen Teilnehmer dazu: allen voran Claudia Borek und Olli Bopp vom Riedstädter Ariel-Verlag, in dem regelmäßig das Jahrbuch der Gesellschaft erscheint.

nochmal BukNachdem der Bürgermeister der Stadt seine Eröffnungsrede gehalten hatte, begann Horst Schmidt mit seinem Vortrag über den Einfluss Bukowskis auf die deutschsprachige Lyrik. Glücklicherweise lag der Schwerpunkt seines Vortrags nicht bei der sattsam bekannten Social-Beat Literatur. Stattdessen erzählte Schmidt viel über die 70er, die den meisten Anwesenden nicht mehr aus persönlicher Erfahrung präsent sein dürften.

Zur Mittagszeit dann ein Besuch in der Stadtbibliothek von Andernach. Dort zu finden: die Bukowski-Ecke. Das, was einst Grundstock für ein kleines Museum sein sollte, wird nun hier ausgestellt: Erstausgaben, Photos, Kopien von Briefen. Insgesamt ganz herzig eingerichtet, mit alter Schreibmaschine und einem großformatigen Gemälde - in Sachen Bücher allerdings eher schwach bestückt. Viel ist es nicht, aber immerhin ein Anfang. Hier gibt's also noch eine Menge zu tun.

Am Nachmittag dann der Vortrag von Michael "Chilemsky" Schmelich über "revolutionäre und anarchistische" Tendenzen bei Bukowski. Anhand von Filminterviews und Zitaten entkräftete Chilemsky die weit verbreitete Mähr vom "unpolitischen" Bukowski. Aufmerksame Leser hatten Bukowski sowieso nie für unpolitisch gehalten. Interessant war jedoch die Diskussion, wie Buks gelegentlich rechtsextrem gefärbten Sprüche einzuordnen sind. Ein Verein wie die Bukowski-Gesellschaft hat es sicher nicht nötig, Dogmen zu verbreiten und jede Meinung gleichzuschalten. Trotzdem herrschte Konsens darüber, dass gewisse "Nazi-Sprüche" von Bukowski rein provokativ geäußert worden waren. Das kann man auch aus dem jeweiligen Kontext ersehen:

"Ich machte mir erst gar nicht die Mühe, den Kram von Adolf nachzulesen - ich faselte einfach irgendwelches Zeug, das mir entsprechend bösartig und wahnwitzig erschien." (Politik in: 'Pittsburgh Phil & Co')

Es kann also als wohltuend empfunden werden, dass man Bukowski in einer anderen politischen Ecke positionieren kann, mit klaren Äußerungen wie jener zum Tod Kennedys:

"Das entscheidende Problem ist, dass wir nicht nur einen guten Mann verlieren, sondern auch gewisse politische, geistige und soziale Errungenschaften wieder einbüßen - und es gibt solche Dinge, mag es auch noch so geschwollen klingen." ('Aufzeichnungen eines Außenseiters', S. 48)

Jedenfalls war der harte Tobak dieses Vortrags eine gute Vorbereitung für die anschließende Mitgliederversammlung. Die Rechtsform der Gesellschaft wird auf Grund der Beschlüsse ebenso umgekrempelt werden, wie die Zusammensetzung des Vorstandes als ihre aktive Vertretung. Damit wurde ein weiterer Schritt hin zur Anerkennung als vollwertige literaturwissenschaftliche Gesellschaft getan. Eine Hürde, vor der die Beschäftigung mit diesem noch nicht allgemein ernst genommenen Schriftsteller heute genauso steht, wie vor 30 Jahren. Aber das Bewusstsein, dass Bukowski literarisch hinter Hemingway beispielsweise (immerhin Literatur-Nobelpreisträger) nicht zurücksteht, wächst.

Für die Abendveranstaltung, traditionell öffentlich zugänglich, brachte der Wiener Schauspieler Andreas Ceska sein Soloprogramm "Dreckige G'schichten" auf die Bühne. Ein echter Gewinn war dabei der Verzicht, sich als 'Charles Bukowski' auszugeben. Stattdessen spielte Ceska einen österreichischen Arbeiter, der in der Badewanne über sein kaputtes Leben räsoniert - dazu wilderte er quer durchs bukowsk'sche Repertoire. Es gab keinen Bukowski-Kenner an diesem Abend, der nicht ständig überlegt hätte, aus welchem Buch, welcher Story, das jeweilige Zitat gerade stammte.

Sonntag, 17. August 2003

nochmal BukGemeinsames Frühstück im Andernacher Hof und Abschied von den ersten Gästen. Dann der letzte Vortrag im Rheintor:

Gesellschaftsgründer Falko Hennig hatte ordentlich tief in der Fotokiste von Bukowskis Cousin Heinrich Fett gekramt und haufenweise Schätze zutage gefördert. Thema war die Geschichte der Bukowski-Familie bzw. Buks mütterlicher Zweig aus Deutschland: die Familie Fett und wie sich nach der Übersiedelung in Amerika alles weiter entwickelt hat. Falko Hennig präsentierte auf der Leinwand derartige Raritäten - übrigens im Beisein von Heinrich Fett, der ebenso wie Herr Argenton von der Kulturverwaltung Andernach als Ehrenmitglied in die Gesellschaft aufgenommen wurde - dass es jedem Bukowski-Begeisterten vor Freude die Tränen in die Augen trieb. Ideal wäre natürlich, für künftige Präsentationen dieser Art eine Verdunkelungsmöglichkeit organisieren zu können.

Nach dem offiziellen Ende des Symposiums traf man sich noch geschlossen zum gemeinsamen Abschiedsessen in einem Restaurant namens "Schloßschänke", das wir bereits von der Abendveranstaltung des letzten Symposiums her kannten. Dann kam das inoffizielle Verabschieden, und das gestaltete sich so rührend, dass man an dieser Stelle getrost Bukowskis "Ochsentour" zitieren kann:

"...hinzu kommt noch das Abschiedswinken durchs Zugfenster, als wir abfuhren. Wenn man das ernst nimmt, dann ist das eins der traurigsten Erlebnisse im ganzen Leben, und am besten wendet man den Trick an, man sei gelangweilt, sonst kann einem das an die Nieren gehen, und außerdem hält der Zug nicht an oder fährt rückwärts, da wenigstens nicht, und so ist das also ein bisschen langsames Sterben, gar nicht gut."

Die paar Verwegenen, die am Ende noch übrig waren, begleiteten mich dann zu meiner Performance am Geburtshaus des Dichters, wo ich die seit Jahren vollgekackte Gedenktafel endlich reinigen wollte. Leider half alles Scheuermittel nichts, und so war das Ganze vom künstlerischen Standpunkt aus zwar ein hübsches Happening, aber doch wenig zielführend: die Buk-Büste ist noch immer besudelt. Manche behaupten sogar, das würde ganz gut passen so. Reine Geschmackssache.

In einem Jahr wird man sich wieder treffen in Andernach, und es wird viel Neues geben. Vielleicht ist dann auch die Gedenktafel gereinigt worden. Still und heimlich. Von Bukowskis himmlischen Heinzelmännchen...

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Und weil's wiederholt zu Verwirrungen kam: Pippi Langstrumpf ist ein anonymer Account unter dem jedeR posten kann.